Sprache des Glaubens. Zum Text „Von Gott sprechen“: Wie heute von Gott sprechen?
Sprache des Glaubens
Mirjam Gödeke:
„Von Gott sprechen“ – diese drei Worte kommen so unscheinbar daher, nicht fachsprachlich verklausuliert, nicht theologisch abgehoben, sondern alltagssprachlich klar, jedes Wort für sich verständlich. „Von Gott sprechen.“ – Mit Punkt beendet zum Satz klingt es wie eine Antwort: Was ist der Auftrag der Christinnen und Christen in Wort und Tat? – Von Gott sprechen.
Aber wie? Im eigenen Fragen stoße ich schnell an eine Grenze dieser scheinbaren Eindeutigkeit: Ich will, ja muss von Gott sprechen – und bleibe doch dahinter zurück. Ein gleichzeitiges Müssen und doch nicht Können. Klaus Hemmerle stößt uns im Text auf die Spannungen und Widersprüche, die diejenigen erwarten, die sich dieser Herausforderung stellen: Von Gott sprechen. Dabei wendet er jedes dieser drei Worte hin und her, nimmt ihnen ihre Eindeutigkeit – und ermutigt doch schließlich genau dazu: Von Gott sprechen.
Der Text, mit dem wir, Hadwig und ich, uns im Vorfeld dieser Tagung auseinandergesetzt haben, liegt Ihnen vor, und zwar zweimal. Zunächst in Maschinenschrift, übersichtlich untereinander, in nummerierte Blöcke gegliedert. So tritt die Unterteilung in vier Hauptsätze und jeweils fünf bzw. acht diesen Sätzen zugeordneten Entfaltungen deutlich hervor. Anhand dieser Ansicht werden wir später mit Ihnen gemeinsam durch den Text schreiten und die großen inhaltlichen Linien suchen sowie einzelne Worte und Sätze näher unter die Lupe nehmen. Diese Textversion trägt keinen Titel. Das hängt mit Entstehungssituation des Textes zusammen, von der ich Ihnen eingangs erzählen will und in die uns das Faksimile der Handschrift Hemmerles auf der Rückseite Ihres Blattes einen Einblick gibt.
Im Jahr 1993, jenem Jahr, in dem Klaus Hemmerle von der Diagnose seiner Erkrankung erfährt, kommt der Priesterrat des Bistums Aachen zu zwei Klausurtagungen zusammen. Eine davon beschäftigt sich mit der Frage, wie heute von Gott gesprochen werden kann. Im Verlauf der Klausurtagung nimmt Klaus Hemmerle Stift und Papier und schreibt vier kurze Sätze auf, denen er jeweils fünf bis acht Unterpunkte hinzufügt. Diese Sätze lassen sich nicht eindeutig klassifizieren: manche ermahnen, andere beschreiben, viele ermutigen – doch in allen geht es ums Sprechen von Gott. Kopien seiner handschriftlichen Notizen verteilt Hemmerle unter die Mitglieder des Priesterrats. So bleibt der Text auf dem Blatt eine fast poetische Skizze, zusammengesetzt aus kurzen Sätzen, die nur andeuten können, was sie eigentlich zu sagen hätten und wirken wollen. Die eigentliche Wirkung muss sich im Nachgang im Tagungsraum ereignet haben. Wir haben keine Hinweise auf die Reaktionen. Auf das, was dort vor sich ging, wie die Atmosphäre war. Doch ich stelle sie mir vor, die Mitglieder, allesamt Priester, die ja wohl von Berufs wegen von Gott zu sprechen haben, wie sie vielleicht ratlos verstummten und erst dann zögernd ins Gespräch kamen – ein wenig wie wir, Hadwig und ich.
So hat sich nämlich unser Arbeiten am Text gestaltet: weniger akademisch-wissenschaftlich als persönlich engagiert und dialogisch, im intensiven Austausch miteinander und dem im Text uns begegnenden Klaus Hemmerle. Wenn sich im Anschluss an unseren Aufschlag das Gespräch mit Ihnen gemeinsam fortsetzt, ist das also ganz im Sinne unseres methodischen Vorgehens in der Vorbereitung und ganz sicher auch im Sinne Hemmerles und seines Impulstextes.
Hadwig Müller:
Wir werden also nicht zwei, sondern einen Vortrag halten, aber gemeinsam, in einer Wechselrede unserem Gespräch treu. Das schien uns passend zu sein. Denn einmal war Klaus Hemmerle, der vorgestern 90 Jahre alt geworden wäre, wohl vor allem ein Mann des Gesprächs. Und zum anderen haben unsere Gespräche uns selber entscheidend geholfen. Bei einem ersten Austausch fiel uns auf, dass Hemmerle in den ersten drei Sätzen nur davon schreibt, wie von Gott zu sprechen ist, und erst im vierten Satz das Sprechen von Gott in seinem Inhalt berührt. Beide hatten wir einen leichteren Zugang zu den drei ersten Sätzen zum Wie des Sprechens von Gott, wobei die Spannungen, die Hemmerle in diesen Sätzen konstruiert, uns zunächst blockierten. Oft verbindet er zwei Aussagen miteinander, die in entgegengesetzte Richtungen weisen. Wer sich von dem solcherart verschlossen wirkenden Text nicht ausschließen lässt, der bzw. die fühlt sich zumindest zunächst wie gelähmt im Denken und möglichen Handeln.
Und noch eine Beobachtung teilten wir miteinander, die uns den Zugang zum Text nicht erleichterte: Alle Unterpunkte der drei ersten Sätze sind an ein „Du“ formulierte Aufforderungen (I und II) oder allgemeine Sentenzen (III). Der Sprecher selber bleibt verborgen. Auch da, wo dieser „ich“ sagt, zeigt er sich nicht. Vielmehr soll der bzw. die Angesprochene sich in dem „Ich“ wiederfinden. Der Sprecher weist einen Weg, ohne seine eigene Erfahrung mit diesem Weg preiszugeben. Für uns blieb von daher die Frage, ob Hemmerle in seinem eigenen Sprechen erfüllt, was er von anderen fordert.
Mirjam und ich gingen nun jeweils in einer eigenen Perspektive an den Text. Mirjams Perspektive war die der Grenze, meine die des Abstandes. Unsere jeweiligen Perspektiven führten uns aber in ein- und derselben dem Text verdankten Überzeugung zusammen: Das Entscheidende ist ein Leben, das sich selbst nicht genug ist.
Wir werden jetzt also – Mirjam und ich im Wechsel – versuchen, einen Satz nach dem anderen zu erschließen, mit den Mitteln, die jeder von uns zur Verfügung stehen. So werden wir wahrscheinlich weniger über Hemmerle sprechen als vielleicht zu ihm.