Hoffnung für uns

Synthese von Welt- und Heilsdienst*

Wie die Partnerschaft, in die uns Misereor einübt, sich übersetzen will in alle gesellschaftlichen und kirchlichen Kommunikationsprozesse, so möchte das gegenseitige Verhältnis von Entwicklungsarbeit und Mission sich fortsetzen in einer Synthese zwischen Heilsdienst und Weltdienst, zwischen innerkirchlichem und gesellschaftlichem Engagement. Die verständliche und teilweise auch berechtigte Skepsis gegenüber dem sogenannten Konstantinischen Zeitalter, die Fragezeichen hinter dem Konzept einer Volkskirche, die per Durchgriff alle gesellschaftlichen Fragen kirchlich vorentscheidet und insgeheim die kirchlichen durch einen gesellschaftlichen Vorgriff bereits geregelt hat, dies verführt allzu leicht zu einer spiritualistischen Trennung des Kirchlichen vom Geschäft dieser Welt. Und umgekehrt verleitet die Furcht vor dem Marsch ins Ghetto, die Gefahr, daß Kirche resonanzlos und weltlos wird, zu den mannigfachen Spielarten eines neuen Integralismus.

Das Heil, das Jesus bringt, und der Anspruch, den er verkündet, reichen über alle geschichtlichen Möglichkeiten und Wirklichkeiten hinaus – und deshalb kann die Kirche nie aufgehen in ihrer gesellschaftlichen und welthaften Gestalt und Wirksamkeit. Das Heil, das Jesus bringt, und der Anspruch, den er verkündet, reichen in alle geschichtlichen Möglichkeiten und Wirklichkeiten hinein – und deshalb [67] kann Kirche nie verzichten auf ihre gesellschaftliche und welthafte Gestalt und Wirksamkeit. Sie ist das Zeichen und Werkzeug der Zuwendung Gottes zum Menschen, und das heißt auch zu Welt und Gesellschaft.

Deshalb hat sie nicht nur Ansprüche anzumelden und Verheißungen auszurichten, sondern sich nach dem Beispiel Jesu selbst dienend einzulassen in die Krisen und Chancen, Nöte und Aufgaben des Menschen und der Welt. Es ist nicht damit getan – so unabdingbar dies ist –, daß die Kirche und die Christen dort ihre Stimme erheben, wo es um christliche Prinzipien, wo es um Grundrechte und Grundwerte des Menschen geht. Die konkreten, weiterhelfenden Lösungen führen ins Detail, führen dorthin, wo sich mit Grundsätzen allein nicht alles ausrichten läßt.

Misereor steht dort und arbeitet dort. Auch in den Problemen und Gestaltungsaufgaben unserer Gesellschaft müssen die Christen an dieser Stelle stehen und arbeiten. Wir denken hier nicht an ein kirchenamtliches Reglement, sondern an den Einsatz von Christen, christlichen Gruppen und Verbänden, ohne den allem Proklamieren und Beschwören der Kirche der Geschmack des bloß Defensiven anhaften müßte. Der Mut und die Phantasie, mit denen Misereor auf ungewohnte Mentalität und ungewohnte Probleme in der Dritten Welt eingeht, müßten auch uns inspirieren, um im Wandel des Bewußtseins und der Verhältnisse in unserem Land als Christen präsent zu sein. Solcher Weltdienst ist keine Zusatzbeschäftigung zur eigentlichen, zur Heilssendung der Kirche, sondern gerade der Erweis ihrer Fruchtbarkeit. Weltdienst, der aus dem Heilsdienst wächst und sich ihm doch nicht einfachhin gleichsetzt, das wäre die Alternative zu einer bloß politischen wie zu einer apolitischen Theologie.

Die Kirche darf den Anspruch und die Hoffnung ihrer Botschaft der Öffentlichkeit nicht verschweigen, muß sie aber zugleich beglaubigen durch die Partnerschaft der Christen mit allen Menschen guten Willens am Aufbau der Gesellschaft. Das ist gerade in unserer Stunde mannigfacher ideologischer und politischer Gefährdung ihr Beitrag, um die Freiheit der Gesellschaft zu stützen und zu erneuern. Was die Kirche und Christen unseres Landes im Blick auf die Dritte Welt tun – Ergänzung staatlichen Entwicklungsdienstes durch freie Initiative –, das müssen sie auch im Blick auf unsere Gesellschaft tun: mithelfen, daß die Vielfalt weder auseinanderbricht noch eingeebnet wird, sondern daß Gesellschaft Einheit in Freiheit sei und daß Freiheit weiß, woraus sie leben kann. Eine solche Position der Kirche in unserer Gesellschaft könnte allerdings wiederum Rückwirkungen zeitigen auf [68] die Dritte Welt, wo die Kirche mannigfach um ihre Position in der Gesellschaft zu ringen hat.