Technik und Weisheit

Technik und Weisheit

[101] Die Suche nach der Einheit ist die Zukunftsaufgabe der Menschheit. Diese Behauptung mag erstaunen: Geht es heute nicht vielmehr um die bedrängenden Fragen des Friedens, der Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung? Niemand kann diese Probleme ausklammern, aber wo wir uns um ihre Lösung mühen, zeigt sich, daß diese Themen im Kontext der Frage nach der Einheit stehen: Nur weil die Menschheit immer mehr eine Einheit wird, sind Fragen des Friedens, der Gerechtigkeit und des weltweit gemäßigten Umganges mit der Schöpfung aktuell. Handelten wir diese Fragen nur in sich ab, ohne sie auf dem Boden der Frage nach der Einheit zu gründen, liefen wir Gefahr, kurzschlüssige und vordergründige Lösungen zu favorisieren.

Die Voraussetzung weltweiter Kommunikation und der Krisen dieser Kommunikation ist die neuzeitliche Technik. Wenn in ihr aber sowohl die Chancen als auch die Gefahren des fälligen universalen Dialoges liegen, stellen sich entscheidende Fragen: Ist mit der Tatsache weltweiter Möglichkeit der Kommunikation zugleich sichergestellt, daß diejenigen, die an diesem Gespräch teilhaben, sich auszudrücken vermögen, oder laufen wir Gefahr, die Identität der Gesprächspartner zu zerstören? Wird die Technik, die zunächst nur Mittel ist, zum einzigen Maßstab und Inhalt, in dem kommuniziert werden kann? Bleibt sie bloßes Instrument, oder droht sie den Ort zu verstellen, von dem her wir selber uns mit unserem Beitrag in das Ganze einzubringen vermögen?

Die entscheidende Maßgabe ist: Weltweite Kommunikation muß durch und in der modernen Technik so ermöglicht werden, daß in diesem Vorgang die Technik nicht zur alles- und alleinbeherrschenden Vorgabe wird, sondern daß die Vielheit dessen, was den Reichtum der Menschheit ausmacht, in ein universales Gespräch zu kommen vermag. Technik und ihre Entwicklung sind notwendig, weil gerade sie Voraussetzungen weltweiter Kommunikation sind – aber wir dürfen nicht Sklaven der Technik werden und damit das Gespräch von innen her verstellen. Diese Maßgabe könnte freilich als fragwürdiger Versuch eines Schutzes von Pluralität mißverstanden werden; doch wo Vielheit nivelliert wird, gerät abgründig Menschsein als solches in Gefahr. Menschliche Möglichkeiten, die auf nur einen Nenner gebracht werden, drohen verändert, ja verschüttet zu werden.

Die Einheit, in die der Mensch sich übersteigt und die gegenwärtig eine ihrer Möglichkeitsbedingungen in der modernen Technik hat, ohne sich freilich in dieser zu erschöpfen, ist die Zukunftsaufgabe der Menschheit. Nur wenn die Frage nach der Einheit des Menschen und der Menschheit angesichts der Möglichkeiten des technischen Zeitalters thematisch wird, lassen sich gemäße Lösungen der anstehenden drängenden Probleme des Friedens, der Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung finden.

Wo eröffnen sich nun für ein Nachdenken über die moderne Technik Wege auf dem Hintergrund der angesprochenen Fragen? Diese sollen im folgenden nicht durch vorschnelle Antwortversuche verstellt werden. In mehreren Schritten soll zur Nachdenklichkeit eingeladen und sollen Kriterien vorgelegt werden. Zunächst gilt zu klären, welche Bedeutung dem Phänomen „Weisheit“ mit Blick auf das Phänomen „Technik“ zukommt. In einem zweiten Schritt wird zu überlegen sein, wie im Licht der Thematisierung von Weisheit der Vorgang der Technik beschrieben werden kann. In einem dritten Schritt sollen zentrale Aufgaben benannt werden, welche einer Begegnung von Technik und Weisheit entspringen.