Theologie in Fragmenten
Theologie in Fragmenten
[160] Unbestrittenermaßen ist philosophisch und auch theologisch hochbedeutsam, was in seinem umfänglichen, schier unübersichtlichen Werk Franz von Baader denkt. Doch dieses bedeutsame Was seines Gedankens scheint verschattet und schier unzugänglich durch das Wie. Wir finden uns vor einem Berg von Fragmenten. Die Schwierigkeit angesichts dieses Berges besteht nicht in erster Linie darin, hier eine klärende Ordnung zu schaffen, sondern der fragmentarische Charakter reicht bis ins einzelne, bis in die Substanz des Gesagten und in ihm Gedachten hinein. Gerade hier aber liegt sowohl ein Ansatz zum Verstehen wie zur Sache selbst. Das zunächst Erschwerende und Verwirrende erhellt sich als das Kennzeichnende, öffnet sich als der Zugang. Die im neuzeitlichen Denken so signifikante Verknüpfung von Methode und Sache bewährt sich auch hier, wo dieser Zusammenhang äußerlich in seine Krise zu geraten scheint.
Franz von Baader versucht, das ganz zu denken, worum es in diesem neuzeitlichen Denken geht, aber gerade darum auch das zu denken, was in ihm nicht aufgeht. Allzu schematisch dargestellt: Philosophisch geht es ihm um die Konstitution des Ganzen aus der Selbstkonstitution des Absoluten. Das aber ist gerade das Andere der Selbstverständlichkeit des je schon Gedachten und zu Denkenden, es ist die Ereignishaftigkeit, die Positivität des unbedingten Ursprungs selbst und seiner Selbstüberschreitung in die Konstitution des Anderen, in die Schöpfung hinein. Philosophie denkt nur ganz, was sie zu denken hat, wenn sie mehr denkt als das in ihrer Selbstbeschränkung Aufgehende. Es ist das Philosophischste an der Philosophie, dessen inne zu werden und so sich in ihr Anderes, ins Theologische hinein zu überschreiten. Umgekehrt geht das Eigene des Theologischen aber nur auf, indem Theologie die Bewegung Gottes mitvollzieht, der sich über sich hinausgibt und Anteil gibt an seiner immanenten Helle, die im Mitdenken mitzuvollziehen ist. Dadurch gehört Philosophie nicht nur als Hilfswissenschaft in den Kontext von Theologie, sondern ist in ihr konstitutiv präsent. Anders gewendet: Wie der Glaube als solcher das ihm eigene Verstehen sucht und somit sich in ein ihm Anderes hinein überschreitet, wie das Denken Andenken ist an das nicht zu Erdenkende, sondern sich ihm Gebende: darum geht es in der Weise, wie Franz von Baader denkt. Ein System des sich selbst [161] vollbringenden und sich in systematischer Notwendigkeit überschreitenden Absoluten wäre Baader zu wenig. Die Kohärenz dieses Systems mit der freien, unableitbaren Selbstüberschreitung Gottes ist erst das Ganze seines „Systems“ – und so erhält dies von innen her den Charakter des Fragments.
Vielleicht dürfen wir sagen: In Franz von Baader berühren wir jenen Punkt neuzeitlichen Denkens, in welchem ein ganzheitlicher Anspruch sich von innen her ins Fragmentarische hinein aufhebt. Zugleich markiert Franz von Baader vielleicht auch jenen Punkt dieser Geistesgeschichte, in welchem Philosophie als Philosophie dem Anderen der Theologie als Theologie begegnet, wo beide sich aneinander brechen. Jedenfalls ist das Fragmentarische im Denken Franz von Baaders nicht ein äußerer Zufall und Unfall, sondern ein Stigma der Sache selbst.
Wir wollen im folgenden daher nicht eine Übersicht über die Thesen Franz von Baaders versuchen, die interessant wären für das Thema „Theologie und Philosophie“, sondern wir wollen scheinbar im Formalen bleiben, wollen uns der Denkform und Sprachform Franz von Baaders zuwenden, um in ihr die immanente Dramatik seines Gedankens anzuschauen, und zwar seines philosophischen Gedankens, in welchem die unableitbare Genese des Anderen aus dem Unbedingten und somit dieses selber in seinem Eigenen zu denken versucht wird.
Dieselbe Vorgehensweise wird auch von der „Außenbestimmung“ des Baaderschen Denkens in seinem geistesgeschichtlichen Kontext nahegelegt. Erwiesenermaßen geht Baaders Einfluß mitten hinein in die Spitzen- und Spätphase des deutschen Idealismus, damit aber in die Reflexions- und Überwindungsphase des Denkens, das – vergröbernd gesagt – es unternahm, den Bestand des Denkens in den Gang des Denkens hinein aufzuheben, und dem man doch vorwirft, darin nicht von sich los-, nicht über sich hinausgekommen zu sein. Wie steht in diesem Denken der Beitrag Baaders? Gerade diese Frage erfordert die Erhellung seiner Denkstruktur.
Sie läßt sich nicht von außen, sondern durch Mitgang von innen her gewinnen. Solcher Mitgang stößt zuerst auf den Vorgang der Sprache und der Gedankenfolge, welche Vorgänge ja beim ersten Hinblick gerade das Befremdliche, schwer Zugängliche an Baaders Werk darstellen. Reflektiert man jedoch die Entsprechung zwischen Sprachvorgang und Gedankenfolge, erhebt man also die eigentümliche „Dramatik“ des Sprach- und Denkstils, so erschließt sich von hier aus auch der Zugang zum Gedachten, zur Inhaltlichkeit Baaderschen Denkens. Wird dieser Inhalt in seiner Struktur ansichtig als „Weg“ des Denkens, der seine Momente durchläuft, darin auseinandersetzt und verbindet, so eröffnet sich schließlich die immanente Dramatik auch des Gedankens selbst. Sie [162] aber ist der Ansatz, um den Außenbezug dieses Denkens, um die „geistesgeschichtliche Position“ formulieren zu können.
Es soll also im folgenden versucht werden, Baaders Denk-und Sprachstil, Baaders gedankliche Grundmotivik und endlich die Dramatik der Gestalt und der Position des Baaderschen Gedankens zu skizzieren. Der Verzicht auf eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Phasen im Werk Baaders und die Raffung des vielfältig zu Belegenden auf scharfe und vereinfachende Formen ist vom Charakter eines knappen Beitrags gefordert; sie dient aber auch einer Profilierung der vorgelegten These.