Das problematische Verhältnis von Philosophie und Theologie

Theologische Grundorientierung

[229] „Nachdem aber Johannes ausgeliefert war, kam Jesus nach Galiläa, verkündigte das Evangelium Gottes und sagte: ‚Erfüllt ist die Zeit! und: Genaht ist die Herrschaft Gottes! Kehrt um! und: Glaubt an das Evangelium!‘“ So faßt Markus das Neue, das mit Jesus hereingebrochen ist (Mk 1, 14f.). Hier hat Theologie anzusetzen. Denn der Glaube fängt nur mit dem Glauben, will sagen mit der absoluten Initiative und absoluten Hoheit des sich selber gebenden Gottes an (auctoritas Dei revelantis). Gewiß, wir treffen auch bereits innerhalb des Neuen Testamentes auf andere theologische Figuren, in denen sich der Anfang der Botschaft verfaßt. Sie alle aber weisen in diese grundsätzlich selbe Struktur zurück. Theologie nun fängt an, wo der Glaube und wo die Botschaft anfängt; denn sie will den Glauben und die Botschaft aus ihnen her, von ihrem eigenen Ursprung her auslegen, reflektieren, vermitteln. Und gerade wenn es um das Verhältnis der Theologie zur Philosophie geht, tun wir gut daran, so scharf wie überhaupt nur möglich, so exklusiv wie überhaupt nur möglich bei dem Ansatz einzusteigen, der die Theologie von der Philosophie abhebt.

Wie aber „geht“ der Ansatz der Botschaft selbst und somit eben der Ansatz von Theologie? Wir versuchen eine knappe Antwort, die sich nicht auf den Befund der herangezogenen Stelle allein stützt und zugleich auch nicht ihre ganze Fülle exegetisch und theologisch auslotet. Aber eines ist, wenn wir diesen elementaren Satz des Markusevangeliums mit der gesamten Botschaft des Neuen Testamentes zusammenlesen, doch unabweislich klar: Es passiert hier eine totale Umdrehung menschlichen Denkens, menschlicher Existenz, menschlichen Weltverständnisses. Wir denken normalerweise und notwendigerweise von uns her. Wir rekurrieren auf die Möglichkeiten, die uns in der Hand sind, wir knüpfen bei dem an, was uns gegeben ist. Wir gehen von uns aus, von den Erfahrungen, die wir machen, von den Möglichkeiten, die wir haben, von den Fragen, die uns bedrängen. Und von hier aus geschieht jener Ausgriff des Denkens und Daseins, dem Sinn, Ganzes, Übersteigendes, Gott gar, äußerster Horizont sind, Horizont, an den wir vielleicht rühren, der sich aber zunächst einmal entzieht, der uns nicht selbstverständlich zur Verfügung steht.

Selbst wenn Weltauslegung und Seinsauslegung zu dem Schlusse kämen, daß [230] sie im Grunde immer schon von diesem Horizont ausgehen, daß er das Erste und die Mitte sei, so müßte solches Ereignis doch vermittelt werden in einem Prozeß der Aufhebung des anders laufenden Anscheins. Wenn menschliches Denken und Dasein mit seinem Anderen, vielleicht mit seinem absolut Anderen, wenn es – wie auch immer – mit dem Absoluten beginnt, so doch dergestalt, daß dieses Absolute als der Grund oder als das Ziel oder als der Kern aus dem Eigenen zu erheben wären. Hier aber, im Evangelium, geht die Bewegung anders. Gott bricht ein, Gott gibt sich, Gott setzt einen Anfang, Gott selber wird zum Anfang von sich her, der uns aus uns selber herausruft – und nun heißt es, nicht mehr von uns auszugehen, sondern von ihm.

Am schärfsten und wohl am unmittelbarsten stellt sich dies dar im neuen Verhältnis zur Zeit, das die Botschaft vom nahenden Gottesreich eröffnet. Von uns her betrachtet, aus unseren eigenen Möglichkeiten her gesehen, leben wir auf eine Zukunft hin, die wir andauernd entwerfen, die wir jeden Augenblick neu antizipieren, in die wir ständig neu aufbrechen – und doch muß sie je von sich her zu uns aufbrechen, sich jeden Augenblick neu schenken. Sie bleibt unter dem Siegel der Unverfügbarkeit. Wir dürfen jeden Augenblick neu staunen, daß dieser Augenblick überhaupt stattfindet. Wir spielen unser Dasein und unser Denken in eine Zukunft hinein, wir schreiben dem, was kommt, unser Maß vor. Nur das eine können wir nicht vorschreiben und machen: daß diese Zukunft überhaupt kommt. Und nun, in Jesus, bricht eine neue Zeit an: die entzogene Quelle der Zukunft liegt nicht mehr über dem je äußersten Horizont unseres Sehen- und Verfügenkönnens draußen; nein, diese Quelle, Gott selber, rückt jenseits der Peripherie ins Zentrum. Gott selbst wird Zentrum und Quelle, hier, auf dem Terrain unseres Daseins und Denkens, damit wir aus ihr schöpfen, von ihm her leben können. Gott nicht mehr Horizont, sondern Zentrum, noch einmal: das ist radikale Umkehrung, radikale Umkehr. Leben geht nicht mehr von mir her, sondern nur noch von ihm her. Der Richtungssinn aller Bewegungen und Regungen meines Daseins und Denkens dreht sich. Leben wird paradox, wird zum scheinbaren Widerspruch gegen sich selbst – und wird zugleich doch radikal einfach, Dasein wie die Lilie des Feldes und der Vogel auf dem Dach.

Solcher Neuanfang, solcher Abbruch und Aufbruch, solche Umkehrung, solches Anfangen mit Gottes Anfangen von ihm her ist aber gerade nicht beziehungsloses Nebenan zum Raum und zu den Möglichkeiten unseres Lebens und Denkens, sondern vollzieht sich in diesem Raum und in diesen Möglichkeiten. Was hier geschieht, ist ja Erfüllung. Erfüllung aber hat Bezug zu dem, was sie erfüllt. Indem Gott sich hineinsagt in unser Verstehen, indem Gott sich hineinwagt in unser Dasein, indem Gott aufbricht als Zentrum in der Sphäre unseres Daseins, stellt er sich selber, wenn auch verwandelnd und umkehrend, in Beziehung zu dieser Sphäre, läßt er sich ein in sie – und das heißt: mit uns, mit unseren Fragen, mit unserem Denken, mit unseren Möglichkeiten, mit unserer Zeit. Gott selbst tritt in Beziehung zu uns, und somit wird das, was wir sind und wo wir sind und wie wir sind, zu einem „theologischen Ort“.

Gott könnte gar nicht anders sich geben, Gott könnte gar nicht anders sich [231] offenbaren, Gott könnte gar nicht anders der „Gott für uns“ sein, der Gott seiner „Herrschaft“, wenn er sich nicht dieses Unbegreifliche zumutete: sich den Bedingungen zu unterziehen, die er, in sie eintretend, umkehrt und verwandelt. Ein erster Punkt, an dem deutlich wird: Ausgang des Glaubens und somit der Theologie von Gott und seiner Souveränität allein heißt ohne Minderung und Vermischung Mittun der Zuwendung Gottes, des Eintritts Gottes in die Bedingungen menschlichen Sagens, menschlichen Denkens, menschlicher Zeit. Gott nimmt es auf mit unserem Fragen, wenn er ihm Antwort werden will. Und unser Fragen heißt doch immer, daß wir uns fragen; denn nur wer sich fragt, kann einen anderen fragen; anders gewendet: die Frage, die ich einem anderen stelle, ist darin je auch Frage an mich. Die Antwort sieht nicht ab von der Frage, der sie sich gibt, auch wenn sie diese Frage korrigiert, überholt, übersteigt. Diese Frage aber, die sich in die Antwort einholt, holt sich ein zu sich, wird in der Antwort mit dieser zugleich ins Licht gerückt. Somit aber ist Sich-Fragen, somit ist – in einem vorläufigen, allgemeinsten Sinn – Philosophie von Anfang an, vom ersten Moment an mit im Spiel, wenn die Botschaft von der Herrschaft Gottes ergeht.

Die Geschichte der Philosophie in der Theologie fängt dort an, wo die Geschichte menschlichen Fragens und Denkens im Sprechen Gottes anfängt, und diese Geschichte fängt dort an, wo dieses Sprechen Gottes selbst anfängt.

Aber an diesem Punkt ist die Geschichte nicht zu Ende. Im Leben Jesu, in seinem Wirken, wie es die junge Gemeinde rezipiert und wie sich diese Rezeption in den Evangelien darstellt, gibt es sozusagen zwei dramatische Phasen, zwei konstitutive Schritte, in denen das Mißverständnis der Botschaft vom nahenden Gottesreich ausgeschlossen wird.
1. Phase: Gottes Herrschaft bricht in Jesus nicht an als ein Natur- oder Geschichtsereignis, das unsere bisherige Verfassung und Situation abschafft, durch neue Bedingungen ersetzt. Nein, Gottes Herrschaft wird nur im Glauben erschwungen, nur wer glaubt, tritt in sie ein.

Wo die Botschaft als bloße Erfüllung erfahren wird, da wird sie mißverstanden. Bloße Erfüllung meint: an die Stelle der Frage tritt die Antwort, an die Stelle des Vergehens tritt das Bleiben, an die Stelle, die wir einnehmen unter den Bedingungen unserer Endlichkeit, tritt die grenzenlose Verfügung. Schlaraffenland, machen können, was wir wollen, alles wissen und vermögen: das wäre Rückfall genau in die Verfassung und Situation des Menschen vor und außerhalb der Zeit des herannahenden Gottesreiches. Diese Gestalt von Erlösung wäre Unerlöstheit mit anderen Mitteln. Leben ohne weiterfragen, Leben ohne weiterdenken, Leben ohne weitergehen: dies wäre, verkürzt und verschärft ausgedrückt, nicht eine Alternative zur bloßen Philosophie, sondern eine bloß passive Philosophie. Wo der transzendentale Service Gottes unseren Ausgang von uns selber überholt und erstickt, da sind wir gerade zu uns selbst, zu bloß uns selbst verurteilt. War dies nicht bereits das Mißverständnis des Adam? Er wollte sein wie Gott aber er glaubte, Gott sei die absolute Behäbigkeit der ungetrübten Selbstverfügung. Wie Gott wirklich ist, wurde offenbar in Jesus, der das leidenschaftliche Interesse Gottes am Ganzen, am Anderen und der so [232] Gott selbst als jenen eröffnet, der sich selber besitzt, indem er sich verschenkt, indem er von sich weggeht.

Und so ruft auch die Botschaft vom nahenden Gottesreich genau zum selben: Wir bekommen dieses Gottesreich nicht serviert, sondern es ist an uns, auf die Botschaft uns einzulassen, uns auf sie hin zu verlassen und so uns selbst in sie mitzubringen. Das unabdingbare Korrelat zur Botschaft heißt Glaube, und dieser Glaube ist Gnade, indem er zugleich Entscheidung, Aufbruch ist. Der radikalste Ausgang von uns selbst ist jener Ausgang, der uns selber mitbringt in den Ausgang von unserem Anderen, in den Ausgang von Gott hinein. Es ist Selbstvollzug der Vernunft, die Vernunft mit Vernunft aufzugeben. Gerade dort sind die Fragen, sind die Möglichkeiten, sind die Erkenntnisse und Grenzen des Denkens so gegenwärtig wie nirgendwo sonst, wo dieses Denken gefordert ist, sich selber zu verlassen und zu übergeben an den, der es ruft. Nicht nur im Wort Gottes und in dem, der dieses Wort spricht, in Gott selber, ist die „Philosophie“ in der Theologie eingeschlossen, nicht nur darin ist menschliches Sagen und Denken und menschliche Reflexion gegenwärtig, daß Gott sich herbegibt in den Horizont dieses Fragens und Denkens; nein, auch umgekehrt gilt: im Glauben selbst, im innersten Mark und Kern des Glaubens ist unser Uns-Fragen, Uns-Verstehen mit drinnen. Wer dem Ruf des Evangeliums folgend alles verkauft, was er hat, um nachzufolgen, gerade der erfährt und weiß erst, was er hat. Und weiter: Verlaß dich selbst! heißt: Bring dich mit!

Offenbarung schließt Glaube, Aufbruch Gottes, unseren Aufbruch mit ein. Weil zur Botschaft von der Gottesherrschaft der Glaube gehört, ist umgekehrte Philosophie keine bloß passive Philosophie. Aber noch kühner, noch verwunderlicher, noch paradoxer ist die 2. Phase, in welcher erst die ganze Härte, Totalität und Universalität der Botschaft vom Kommen der Gottesherrschaft aufgeht. Als die Jünger von den ersten Plätzen träumten, als sie sich Gedanken machten über das Sitzen zur Rechten und zur Linken des Herrn, da spricht er vom Kelch und vom Kreuz (vgl. Mk 10, 32-45). Sie verstehen nicht, und er schilt ihr Mißverständnis; dem Petrus gar sagt er: Satan, weiche hinter mich! Du denkst nicht, was Gottes ist, sondern was der Menschen ist (vgl. Mk 8, 31-33). Dies nun ist das Schockierende: Das Zuendegehen der Zeit, die Not unserer Endlichkeit, das Stoßen an die Grenze, der Verbrauch der eigenen Kräfte, die Erfahrung der scheinbaren Sinnlosigkeit und Ergebnislosigkeit, die Einsamkeit und das Warum sind nicht am Ende, als Jesus die Gottesherrschaft verkündet, sondern sie werden neu aktuell, ja konstitutiv für den Anbruch dieser Gottesherrschaft. Ganz und allein vom Willen des Vaters her leben, das heißt für Jesus: gehorsam sein bis zum Tod, sich weggeben bis zum äußersten, auf nichts Eigenem, auf keiner Vorstellung, Meinung und Erwartung bestehen, sondern allein und rein sich in die Verfügbarkeit für den Vater begeben. Bis hin zu dem Punkt, wo der Tod nicht abgewendet wird, wo der Vater ihn nicht vom Kreuz holt. Bis hin zum Schrei der Gottverlassenheit. Der radikale Selbstvollzug der eigenen Endlichkeit bis ans Ende, das Ausgehen von sich selbst bis ins äußerste, bis ins Nichtmehr: hier, hier allein hat Gott die einzige Initiative, hier allein bricht seine Herrschaft durch. Aber es ist nicht die Herrschaft eines grau- [233] samen Tyrannen, sondern es ist eben die Herrschaft der Liebe, die im eigenen Sohn ganz und gar das Unsere teilt und übernimmt und ernst nimmt. Indem der Sohn glaubt bis in die Kenosis, bis in die äußerste Entäußerung hinein, begibt sich Gottes Liebe bis in unser Innerstes und Eigenstes hinein. Das Kreuz ist nicht nur Tat des äußersten Gehorsams, in dem Gott als der Herr aufgeht, sondern darin zugleich Tat der äußersten Solidarität Gottes mit uns, in der sich diese Herrschaft als lautere und radikale Liebe entbirgt.

Hier aber erhält Philosophie in der Theologie einen neuen Stellenwert, einen neuen Sinn: sie ist nicht nur Selbstvollzug der Fragen, die wir haben, sondern sie ist zugleich Mitvollzug aller Fragen, die in dieser Welt gefragt werden. Philosophie in der Theologie ist Ausdruck der Solidarität Gottes mit allen menschlichen Fragen und mit allen menschlichen Erfahrungen, die er am Kreuz seines Sohnes mitgetragen und bis in ihr Ende ausgestanden hat. Das Fragen bis zum Ende wird zum Ort der Liebe bis zum Ende. Glauben heißt glauben an diese Liebe bis zum Ende auch in der bleibenden Fraglichkeit, und mehr noch: annehmen dieser Liebe als Mitübernehmen ihrer Bewegung, die sich in die äußersten Fragen solidarisch hineinwagt. Im „Ecce homo“ geschieht auch ein „Ecce philosophia“. Der Mensch in seiner Sterblichkeit und Sündlichkeit, der Mensch als Opfer des Menschen wird die Gestalt göttlicher – und darin menschlicher – Hingabe und Liebe. Die un-endliche Endlichkeit menschlichen Fragens und Denkens wird offen nicht nur als das Schicksal und das Scheitern des Menschen vor dem Letzten, sondern zugleich als Ort der communio Gottes mit seinem Denken und Fragen und somit als Ort der Vollendung dieses Denkens und Fragens.

Doch ist solches Fragen bis zum Ende nicht ein für allemal im Tod Jesu ausgestanden? Zweifellos, für den Glauben zweifellos: es gibt keine Frage, die im Tod Jesu nicht mitübernommen, nicht mitverschenkt, nicht mitanheimgegeben wäre in die Hände des Vaters. Und die Auferweckung aus dem Tod, das neue Leben, das dem getöteten Jesus geschenkt wird und in ihm unser Leben wird, ist nicht kleiner als das Kreuz, ist die Verwandlung und Lösung von allem, was er in sein Kreuz hineingenommen hat. Aber das Kreuz ist nicht nur der Ort, von dem aus die Auferweckung geschieht, am Kreuz gibt der Herr uns auch seinen Geist. Gewiß und ohne jede Einschränkung: die Zukunft des Kreuzes ist und bleibt die Auferweckung des ganzen Menschen, die Zukunft des Warum die ganze Antwort Gottes, die Zukunft des Todes das unendliche Leben. Aber diese Zukunft bleibt, solange Geschichte währt, eben Zukunft. Der Frage der Jünger an den auferweckten Herrn, wann er das Reich Israel wiederherstelle, wird als Antwort zuteil, daß sie den Geist empfangen werden und daß er sie als Zeugen sendet bis ans Ende der Zeiten und der Welt (vgl. Apg 1, 6-8). Im Geist aber erkennen wir sowohl, daß die Zukunft allen Kreuzes die Auferweckung ist, als auch, daß diese Zukunft je neu aus dem Kreuz, das wir mit dem Herrn tragen, sich uns schenkt. Auferweckung und Kreuz werden offenbar als die beiden Gestalten der einen Liebe, die jetzt schon währt und gilt und herrscht.

Wir können also sagen: aus dem Kreuz entspringen Auferweckung und Geist, und jeder der drei Pole dieses Geschehens „erzeugt“ aus sich selbst je neu die beiden anderen. Der Geist aber befähigt ebenso zur Liebe in der Gestalt des je [234] neu zu übernehmenden Kreuzes wie zur Hoffnung auf die je künftige, alles vollendende und lösende Auferweckung.

Gerade in diesem Ineinander von Kreuz, Auferweckung und Geist, als der Struktur unserer nach Tod und Auferweckung Jesu fortwährenden Geschichtszeit, erhält Philosophie in der Theologie ihren endgültigen Ort. Die Endlichkeit geht weiter. Die Erfahrung, die Fragen, die Möglichkeiten des Menschen gehen weiter, sie stellen sich jeden Augenblick, jede Epoche neu dar. Was bereits „drinnen“ ist im Kreuz Christi und in seiner Auferstehung, das kann nicht durch eine Deduktion aus ihm abgeleitet und allenfalls äußerlich nachgeholt und nachgeleistet werden; es kommt je unabsehbar und neu auf uns zu, damit wir im einen, schon gegebenen und sich je neu gebenden Geist den Weg Jesu mittun. Dies heißt aber: Weiterdenken und weiterfragen, mitdenken und mitfragen mit allen Gedanken und Fragen dieser Geschichte gehört zum Weg der Christen. Nur in solchem Mitdenken und Mitfragen wird die Botschaft in jede Stunde neu eintreffen, wird sie dieselbe bleiben, ohne Minderung und Verbiegung, und trotzdem ihre je neue Sprache finden, Sprache nicht als bloßes Gewand, sondern als das Sich-Zusprechen Gottes in die Geschichte hinein. Und deswegen ist Philosophie in der Theologie nicht eine Sache bloß der ersten Stunde, nicht eine Sache, die irgendwann einmal zum Ende käme, sondern sie ist das Zeichen und Siegel des wandernden Gottesvolkes, das den Weg der Menschheit mitgeht, als Kreuzweg zur Auferweckung, als Weg im Geist der Liebe, welche die Fragen nicht durch die Antwort tötet, den Fragen die Antwort aber auch nicht vorenthält, sondern die Fragen in die sich schenkende Antwort hinein bis zum Ende aushält.