Hoffnung für uns
Theologischer Nachtrag
Wir haben uns am konkreten Modell Misereor orientiert und aus ihm für unsere Situation einige Konsequenzen gezogen. Aber wir haben [70] unter der Hand noch etwas getan: Wir haben an diesem Modell eine Elementarkatechese unseres christlichen Glaubens abgelesen.
Daß Communio die Alternative zu Isolierung und zu Nivellierung ist, zum Nebeneinander und zum Vielerlei, verweist zuletzt auf das dreifältige Geheimnis Gottes. Einheit als Beziehung, als gegenseitiges Sich-Schenken, Partnerschaft als gegenseitiges Sich-Verdanken, in dem einer die Zukunft des anderen ist – dieses Gottesbild sprengt den neuzeitlichen Ansatz des Denkens und Handelns beim einsamen Subjekt. Die Überwindung dieses neuzeitlichen Ansatzes ist gleichermaßen dringlich für die Erneuerung unserer Gesellschaft wie für die unbelastete Begegnung zwischen der Alten Welt und der Dritten Welt.
Das Zueinander von Göttlichem und Menschlichem, ihre ungetrennte und unvermischte Einheit, markieren das Geschehen der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes. Daß das Wort Wort bleibt und doch Fleisch wird, daß es im Fleisch sich offenbart und im Fleisch sich verbirgt, ist die Tat derselben Liebe. An ihr bemißt sich auch das Verhältnis von christlichem Heils- und Weltdienst, von Mission und Entwicklungsarbeit, von innerkirchlichem und gesellschaftlichem Wirken der Christen.
Die Inkarnation, das Wagnis Gottes, sich in diese Welt einzulassen, fordert uns heraus, uns frei ins freie Spiel der vielfältigen Kräfte unserer Gesellschaft einzulassen und in dieses freie Spiel zugleich den Grund aller Freiheiten einzubringen.
Auch das christliche Verständnis von Geschichte tritt am Modell Misereor ans Licht: Das Eschaton ist entzogene Zukunft und bestimmt doch schon die Gegenwart; unverfügbares Geschenk und aufgegebene Tat gehen nicht ineinander auf und gehören doch zusammen. Wie vorläufig und bruchstückhaft aller christliche Dienst an der Welt und alle Gestalt von Kirche auch sein mögen, der dreifaltige Gott hat durch die Menschwerdung sein endgültiges Leben schon hineingegeben in unsere Geschichte. Das befreit uns von der Angst, mit unseren Versuchen und Modellen das Letzte nicht erreichen zu können, und gibt unseren Anläufen doch bereits das Gewicht, das hier und jetzt dieses Endgültige auf die Weise der Hoffnung schon anhebt. Deswegen ist Misereor Zeichen der Hoffnung für die Dritte Welt und für die Kirche in unserem Land.