Die Wahrheit Jesu
Theophanische Wahrheit
Wahrheit, die sich in ihrem Aufgang erschließt – hierfür sind uns nicht von ungefähr zwei Beispiele unterlaufen, das eine betreffend den Umschwung eines Weltbildes, das andere aus dem Bereich der Kunst. Ein weiteres Beispiel, das sich nahelegt, um dieselben Verhältnisbestimmungen und somit Kriterien durchzuspielen, wäre die personale Begegnung. All diese Beispiele spitzen sich indessen zu auf eine äußerste und zugleich umwendende Position: aufs theophanische Ereignis.
Dieser Ausdruck mag unpräzise wirken, er soll aber als Marke stehenbleiben, die das Phänomenfeld des Religiösen in seine schärfste Differenz zu anderen Phänomenfeldern hineinsammelt und zudem unseren Hinblick gerade auf die Religion Israels lenkt, den Hintergrund also, auf dem die Wahrheit Jesu unmittelbar lesbar wird.
Natürlich gibt es bei der künstlerischen Inspiration, bei der Erkenntnis eines neuen Zusammenhangs in der Wissenschaft, gar bei der Begegnung mit einem Menschen den Blitz, das konkrete Einmal, in welchem alles neu wird. Im theophanischen Ereignis, im Blitz des göttlichen Aufgangs aber wird das Licht, in dem ich alles sehe, selber [102] thematisch, tritt es selbst in eine unmittelbare Beziehung zu mir. Ich kann nicht mehr eigentlich über das Licht reflektieren, kann – zumindest in der ersten Unmittelbarkeit – nicht einmal im Medium dieses Lichtes anderes sehen, sondern muß hineinschauen in dieses Licht selbst. Was mir aufgeht, wird in einem phänomenologisch genauen Sinn angeredet als „mein Alles“. Darin aber geschieht eine „normaler“ Logik unmögliche Synthese: Das Alles, das Umfassende, Bergende, Bewahrende wird zugleich zum Anderen, zum Gegenüber.
Genau dies ist das Ärgerliche des Religiösen, etwa im Unterschied zum Philosophischen. Konkretes wird nicht mehr als die unterbietende, unvermeidliche, indirekte Verdeutlichung des Allgemeinen, sondern als seine indispensable und unmittelbare Gegenwart verstanden. Gott hat sich wirklich gezeigt, an dieser bestimmten Stelle, in dieser endlichen Gestalt hat mich das Unendliche und Unbedingte angerührt; ich darf es nicht mehr mit meinen Gedanken darüber suchen, sondern habe es darinnen anzunehmen.
Die Souveränität des Sichgebenden, das von sich her die vorgegebenen Verhältnisse zwischen allgemein und einzeln, universal und konkret sprengt, ist der Grundcharakter des heiligen Geheimnisses in seinem Aufgang.