Der Begriff des Heils

Transzendenz und Immanenz

Dasein ist durch und durch Ausgang von sich selbst. Seine Struktur ist die der sich setzenden Freiheit, die sich selber will, will freilich nicht in einer solipsistischen Verschlossenheit, sondern in jener Offenheit, die alles wahrt, alles sein läßt, was ist. Wie schon gezeigt, ist das Wie der Integration, auf die der Ursprung hin ist, die totale Kommunikation. In ihr ereignet sich aber mehr als Transzendentalität, als Entwurf oder auch Ausfüllung eines allumfassenden Horizontes von sich her. Die „Alleinigkeit“ des Daseins ist jene Wegwendung von sich, die das andere gerade als das Unsicherbare, Unherstellbare entgegennimmt. Sie ist Beziehung, die nur in ihrer Gegenseitigkeit, nur in der Mit- und Gleichursprünglichkeit ihrer Pole Beziehung ist. Indem Freiheit, Ursprünglichkeit auf Beziehung hin verstanden ist, ist sie aber – und dies ist als latenter Grundzug allen unseren Hinsichten aufs Dasein bereits aufgefallen – auf die Gewähr, auf die Gunst hin verstanden, die derart die Pole der Beziehung umfängt, daß sie selbst eines, eine einzige Beziehung aus der Verschiedenheit der Ursprünge ist. Diese Einheit der Beziehung aber ist nicht bloßes Ergebnis; vielmehr wird in dieser Einheit Ursprünglichkeit schlechthin, Gewähr schlechthin verdankt.

Wir erreichen hier eine Dimension des Sprechens, die nicht mehr „univok“ mit der zusammenfällt, in welcher wir die Bestimmungen des Daseins auf Heil hin und somit die phänomenalen Grundzüge des Heils selbst artikulier- [227] ten. Gleichwohl ist diese andere Dimension nicht zu umgehen, wo Heil als solches in den Blick tritt. Heil liegt an der Gunst, welche die Freiheit des Daseins gewährt und ihr die Beziehung zu allem gewährt. Diese Gunst geht darin auf als reine Ursprünglichkeit, als reines Sich-Schenken. Die Struktur des Daseins wird als Struktur des Heils zugleich zur Struktur der das Dasein und sein Heil gönnenden Huld, zur Struktur der reinen Ursprünglichkeit. Eine „Phänomenologie“ des Heiles ist eine Phänomenologie des Sich-Schenkens der alles gönnenden Gunst. Darin werden aber die Momente, die das Heil als Heil des Daseins bestimmten, Momente, in welchen sich die reine Ursprünglichkeit dieser Gunst selbst darstellt.

Die Integrität des Daseins, dies, daß es sein eigen und daß alles ihm zueigen ist, ist zugleich und in einem die Übereignung des Daseins und der Welt an diese Gunst. Christlich gesprochen: Unser Heil ist Gottes Herrlichkeit. Die Ursprünglichkeit, die Freiheit des Daseins steht nicht in einem diminutiven Gegenverhältnis zur alles vermögenden und gründenden Ursprünglichkeit der gönnenden Huld; vielmehr verdanken wir in unserem Sein-von-uns-aus das Sein-von-sich-weg dieser gewährenden Ursprünglichkeit. Christlich gesprochen: Alles ist Gnade, und gerade dies ist Freiheit. Die Verwandlung unseres Daseins in sein Eigenes ist – theologisch gesagt – der Aufgang des Menschen als Gottes Bild, ja zuletzt und zuhöchst: seine Teilhabe am göttlichen Wesen. Die grenzenlose Kommunikation, auf die unser Dasein hin ist, das vollendete Einssein miteinander, wird Anwesenheit jener communio, als die christlicher Glaube Gott selber weiß (Joh 17,21). Die „Immanenz“ des Heiles ist so nicht nur vom Dasein, vom Menschen her zugleich seine radikale Transzendenz, sondern sie ist zugleich die reziproke Transzendenz des göttlichen Ursprungs, seine Insistenz in unser Dasein hinein, um in ihm aufzugehen. Erlösung, Gabe des Heils, ist Offenbarung, Offenbarung aber neue Schöpfung. Neue Schöpfung aber schafft nicht etwas zum Bisherigen hinzu, sondern schafft dasselbe in die communio mit Gott, in die Teilhabe an Gott hinein.

Um nicht mißverstanden zu werden: die Peripetie der Betrachtung in christliche Kategorien bedeutet keineswegs, daß diese aus dem phänomenalen Grundbestand menschlichen Daseins herausgerechnet werden könnten. Nur weil es sie gibt, gibt sich einem phänomenologischen Hinblick menschliches Dasein so, wie es sich hier gegeben hat. Dadurch wird aber andererseits solche Phänomenologie des Daseins nicht schon zur Theologie. Im Licht christlicher Offenbarung läßt menschliches Dasein solches an sich sehen, was „von sich her“ ihm eignet und auch einer Betrachtung „vor“ dem Glauben sichtbar gemacht werden kann. Damit ist auch eine Antwort auf die mögliche Frage gegeben, ob die entwickelten Gedanken über das Heil nun von einem „natürlichen“ oder einem „übernatürlichen“ Heil sprechen. Sie sprechen von dem konkreten Heil, das für den Christen übernatürliches Heil ist. Sie setzen dabei [228] aber beim konkreten Menschen an, und da sein Heilsbedürfnis sich nicht in einer Welt der natura pura artikuliert, sondern im Kontext von Schuld und Erlösung, weist auch die phänomenologische Analyse des Humanum über einen abstrakt nur natürlichen Bereich hinaus.