Theologie als Nachfolge

Trinität als Integration von Schöpfung

Die zweite Zugangsweise Bonaventuras zur Dreifaltigkeit innerhalb der Collatio XI des Hexaemeron setzt nicht bei jener Deklination der Vollkommenheit an, die zu Gott gehört und ihn am Ende als Liebe erweist, sondern unten, bei den Geschöpfen. Sie blickt von ihnen her auf das, wonach sie tendieren, was sie mit ihrer partiellen Vollkommenheit „meinen“ und nicht erreichen. Ein kurzer Blick auf den reichen Text, der von anderer Seite die Schöpfungstheologie des Itinerarium nochmals aufgreift, genügt hier, um das Zulaufen bonaventuranischen Seins und Weltverständnisses auf seine trinitarische Grundantwort zu erhellen. Die Vollkommenheit der geschaffenen Dinge bedeutet Bonaventura Vollkommenheit ihrer Produktivität, und er entfaltet diese in drei aufsteigenden Stufen, die selbst wieder in je vier Ausformungen vorgestellt werden: Ausströmen (diffusio), Ausdruck (expressio), Fortpflanzung (propagatio).1 Was besagt solche Stufung? Sie fängt beim Verströmen im Sinne noch unspezifischen Ausgehenlassens einer Wirkung von einer Ursache an; Bonaventura erinnert an das Licht, das den Glanz, an das Feuer, das die Wärme, an die Quelle, die den Fluß, und an die Wolke, die den Regen gibt. Ausdruck bedeutet demgegenüber eine Steigerung. Hier gibt die Ursache sich selbst und nicht nur etwas der Wirkung mit; die Wirkung ist Mitteilung, Gestalt, in welcher der Ursprung als Ursprung aufgeht – Bonaventura erinnert an das Erscheinungsbild, das jeder Gegenstand, an das Prägebild, das eine Kunstform, an die Rede, die ein Sprechender, an den Gedanken, den der denkende Geist hervorgehen läßt. Nochmals eine Steigerung bezeichnet jene Fortpflanzung, in welcher der Ursprung nicht nur sich mitteilt, sondern seiner Wirkung ihrerseits Selbständigkeit, In-sich-Sein einstiftet – der Same läßt den Sproß, die Wurzel den Baum, der Schoß die Leibesfrucht, ein Vater seinen Sohn entspringen.

[163] Wie verweist die in solchen Stufen angeschaute Ursprünglichkeit auf den unbedingten, trinitarischen Ursprung? In keiner dieser Produktionen holt die Wirkung ihre Ursache voll ein; immer intendiert Hervorbringen von seinem ontologischen Drang her mehr, als der Prozeß einholt. Die ganze Schöpfung wird so zu einem Spiegel der Ursprünglichkeit, welche sie meint – aber innerhalb der Schöpfung kann dieser Spiegel nicht zusammengesetzt, nicht zur Synthesis gebracht werden; und so wird die Schöpfung zugleich zu einem Ausdruck ihrer eigenen Defizienz, zu einem bloßen Verweis auf jene Ursprünglichkeit, die sie aus sich nicht erreicht und die doch ihr Worumwillen ist. Wo nun liegen die Bedingungen dieser Synthese? Wie kann, um ein einziges Beispiel Bonaventuras herauszugreifen, das Wort von seiner eigenen fatalen Alternative befreit werden: entweder lebendiges, unmittelbares, so aber gerade verfliegendes oder fixiertes, somit bleibendes, aber in seiner Schriftlichkeit der Unmittelbarkeit lebendiger Situation entbehrendes Wort zu sein? Alle Unterbietungen des Gemeinten und alle Dialektik der bloßen Endlichkeit sind dort aufgehoben, wo die für menschliches Begreifen viel tiefere Dialektik aufbricht, die aber gerade Vollzug innerster Einheit ist: Dialektik dreifaltig sich verschenkender Ursprünglichkeit, die reines Über-sich-Hinaus und reines Insich, volle Mitteilung und vollen Selbststand, absolutes Sich-Geben und absolutes Sich-Haben unzerreißbar miteinander verbindet.


  1. Zu diffusio vgl. Hexaemeron XI, 14 und 15, zu expressio vgl. Hexaemeron XI, 16 und 17; zu propagatio vgl. Hexaemeron XI, 18 und 19; zur Synthesis auf Trinität hin vgl. Hexaemeron XI, 20–25. ↩︎