Theologie als Nachfolge

Trinität: Spekulation oder Antwort?

Wir sind ausgegangen von der elementaren Frage: Als was legt sich zutiefst die Wirklichkeit, die der Name Gott nennt, für Bonaventura aus? Und zugleich: Wie versteht er Sein? Der Mitgang mit seinen Aussagen über die Trinität sollte uns Antwort geben. Aber hat sich diese Antwort nicht zerfasert in eine Fülle sublimer Bestimmungen, Spiegelungen, Stufungen? Daß Gott ist, hat Bonaventura aus dem Stoß reiner Wirklichkeit heraus erhoben, der unser Denken allererst in Gang bringt und der es in Antwort und Verantwortung ruft. Gerade darin war aber [164] aufgegangen: Dieser Stoß reiner Wirklichkeit ist kein blindes Daß, sondern Ursprung, Licht und Geschenk. Nur in diesen drei Momenten ist alles aufgegangen, alles da, alles integriert, was uns begegnet und bewegt, was ist und sein kann. Gott ist nur Gott, wenn er der Gott des Ganzen ist, und er ist nur Gott des Ganzen, wenn seine Wirklichkeit eben Mächtigkeit, Wahrheit und Gutheit, wenn Gott also Ursprung, Licht und Geschenk ist. Diese Selbstauslegung der ersten, gewährenden Wirklichkeit, von der aus wir uns, unser Denken und unsere Welt gewährt finden, tritt nun in die Positivität des Offenbarungswortes ein und wird im Geschehen der glaubenden Annahme dieses Wortes, in der reflektierenden Nachfolge seines Rufs zur Botschaft vom dreifaltigen Gott. Der unverdenkliche Aufbruch, von dem alles ausgeht, darf Vater heißen. Dies können nicht wir verfügen, nicht wir herausanalysieren. Aber es ist uns in der Botschaft, im Leben und im Geschick Jesu zugesagt. Und in diesem Jesus, der die authentische Lichtung des Vaters ist, sind auch wir selbst, ist auch die Welt, sind sogar Schuld und Tod und Widergöttliches gelichtet. Von ihm her gibt sich alles zu verstehen als das, was es ist. In seiner Herkunft vom Vater und seinem Hingehen zum Vater ziehen sich auf alles zu und von allem her die Linien auf den Vater aus, alles ist mitgerissen in den Weg Gottes zu uns und unseren Weg zu Gott, in den Weg, der Jesus Christus heißt. Dieses Licht Gottes, das in Jesus Christus scheint, ist nicht ein Licht, das er „nachträglich“ für uns in der Welt angezündet hat; es ist das Licht, das zum Ursprung Gott selbst gehört, das Wort, in dem er sich selbst erschließt, es ist der anfängliche Aufbruch des Ursprungs, welcher der Vater ist, selbst. Wer aber Jesus Christus begegnet und in ihm dem Sohn und Wort des Vaters und somit dem Vater selbst, der ist nicht nur dem Vater und dem Sohn begegnet; auch, ja zuerst ist etwas anderes mit ihm geschehen. Er ist angezogen, hineinbezogen in eine Beziehung, die ihn bewegt, die sein Innerstes aufsprengt und mitnimmt, damit sie überhaupt im Sohn den Vater sehen und durch den Sohn Vater sagen kann und damit sie vom Vater aus in Jesus sein erstes und endgültiges Licht, damit sie in ihm den Sohn, unseren Herrn und Bruder erkennen kann. Nie- [165] mand kann sagen: Herr ist Jesus, und niemand kann sagen: Abba, Vater, außer im Heiligen Geist. Er ist jenes Geschenk in uns, das sich erschließt als das Geschehen zwischen Vater und Sohn, in dem für uns und für Gott selber als letztes gilt: Gott ist Liebe. Ursprung, Licht und Geschenk sind so nicht mehr nur Auslegungen, Dimensionen, das eine Licht brechende Strahlen des ersten Ursprungs, wenn wir von uns aus in ihn blicken. Was in solchen Bestimmungen und Strahlen uns unabweislich aufscheint, zeigt sich uns nunmehr als das innerste Selbstgeschehen Gottes, das sich uns mitteilen, das uns in sich aufnehmen will. Damit geschieht freilich ein Mehrfaches: Einmal wird die Positivität der Botschaft vom Vater und vom Sohn und vom Heiligen Geist und darin vom einen Gott, der sie sind, unserem Verstehen aufgeschlüsselt, wird sie, ohne aus ihrer Unverfügbarkeit herauszutreten, dennoch uns zu-, in unser Denken hineingewandt – wer solches um der Größe Gottes willen ablehnte, der wiese die Souveränität des Gottes zurück, der sich schenken will und sich schenken kann und darum auch als Sich-Schenken in sich selbst uns aufgehen kann. Zum anderen legen sich aber auch Seinserfahrung und Seinsverstehen, zu denen der ursprunghafte, lichthafte und geschenkhafte Charakter des Seins und mehr noch der Quelle des Seins gehören, neu aus: Ihr Text wird lesbar vom authentischen Wort her, in dem Gott selbst sich als der Dreifaltige, als Ursprung, Licht und Geschenk mitteilt – trinitarische Integration des Seinsverständnisses von oben her. Zum dritten: Wenn Gott selbst Liebe ist, die sich als Liebe in sich selber schließt und zugleich über sich selbst hinaus mitteilt, und wenn zu solchem Liebesein Dreifaltigkeit des Ursprungs, vollkommene Selbstmitteilung in sich selber gehören, dann werden Gottes- und Seinsverständnis in ihrem Grundcharakter und nicht nur in ihren Momenten davon neu „gestimmt“. Dreifaltige Liebe ist Einheit, die als Beziehung, als Proportion, als „Ordnung“ aus mehreren Ursprüngen und doch in einem einzigen alles durchgreifenden Gang sich vollbringt. Proportionalität, Mehrursprünglichkeit, Communio, kurzum: das, was man mit Struktur im vollen Wortsinn bezeichnen kann, wird so Grundfigur des Denkens, in der sowohl der Gott, welcher drei- [166] faltige Liebe ist, wie das Sein, in das hinein er sich öffnet, wie die Offenbarung, in welche er sich seinem Anderen, seiner Welt erschließt, sich auslegen.1 Schließlich: Wo – wie bei Bonaventura – Trinität aus ihrer bloßen dogmatischen Punktualität heraustritt und das Ganze des Gottes- und Seinsverständnisses prägt, da verwandelt sich konsequenterweise auch die Sicht der Welt, die Sicht der Schöpfung. Sie „spricht“ nicht nur, ja nicht einmal vor allem von der einen Ursache, ohne die sie nicht verstehbar wäre, wobei diese Ursache durchaus die verschiedenen Dimensionen als Wirk-, Vorbild- und Zielursache hat, sie spricht vom dreifaltigen Gott selbst und spiegelt ihn, indem sie seine Spuren in sich vorweist und auf seine alles Geschöpfliche übertreffende, ermöglichende und einholende Fülle hinweist.

Mit einem Satz: Die Wirklichkeit, die Gott ist, heißt Liebe, die gerade darin als ganze Liebe aufgeht, daß sie bereits in sich selber Liebe ist – und das heißt in der denkenden Auslegung Bonaventuras eben: Sich-Schenken, Proportionalität, Gegenseitigkeit. In solcher Struktur von Liebe decken sich die Urwirklichkeit und alle Wirklichkeit auf, in ihr haben sie ihr Leben und ihr Gesetz, in ihr sowohl ihre Einheit wie auch ihren Unterschied.


  1. Vgl. H. Rombach, Strukturontologie. Eine Phänomenologie der Freiheit (Freiburg i. Br. 1971) 40, wo die Herkunft solchen Strukturdenkens aus der trinitarischen Spekulation betont wird. ↩︎