Theologie als Nachfolge
Trinitätsdenken: Begegnung mit der Urbegegnung
Bonaventuras Sprechen von Gott dem Einen und Dreifaltigen leistet die Synthese zwischen Seinsdenken und Offenbarungsdenken und ihre gegenseitige Interpretation. Die Spitze seines Gedankens, an welcher er alles aus dem dreifaltigen Geheimnis Gottes her und auf dieses Geheimnis zu deutet, erwächst ihm indessen aus dem geschehenden „Anfang“ seines Denkens: aus der Initialsituation der Nachfolge, der Begegnung eigenen Suchens mit dem vorgängigen Rufen Gottes. Die Ermahnung, beim entscheidenden Schritt nicht den Lehrer, sondern den Bräutigam, nicht die Wissenschaft, sondern die Gnade zu fragen,1 gilt nicht nur für das vollendende Ende menschlicher Bemühung um Gott, das durch den Tod eigenen Wollens und Denkens hindurch als Friede Gottes von Gott her gefunden wird; in den mannigfachen Anrufungen [167] und Appellen der bonaventuranischen Einleitungen kommt dasselbe bereits zum Durchbruch: die Ursprungssituation sich reflektierender Nachfolge ist die liebende Begegnung des Menschen mit Gott, und sie zeigt die Struktur der „Vermählung“.2
Solches Denken, das seinen eigenen Ursprung dem Ruf und der Gnade verdankt und im Verdanken sich gerade zur eigenen Ursprünglichkeit erweckt weiß, findet am Ende, was es als seinen Anfang erfährt. Das Was der Reflexion und das Wie der Nachfolge entsprechen sich: in beiden geht es um Mehrursprünglichkeit aus Einursprünglichkeit, um innere Stringenz, die sich lichtet, aber gerade als höchste Freiheit lichtet, um reines Sich-Schenken, dessen Freiheit sich gerade als Vollzug einer höheren und darum selbst freien Notwendigkeit versteht. In der Begegnung der Nachfolge reflektiert sich als ihr letztes und eigentlichstes Worumwillen und Woher eine andere Begegnung, die erste Begegnung überhaupt: jene zwischen Vater und Sohn im Heiligen Geist. Wenn Nachfolge sich reflektiert und reflektierend dreifaltiges Selbstgeschehen im Seins- und Denkgeschehen spiegelt, so ist dies nicht Wegrücken aus der Nachfolge, aus ihrer Begegnungssituation, sondern gerade liebendes Verweilen in ihr. Doch auch für Bonaventura ist Trinität in sich nicht nur Endstation und nicht nur das Urgeheimnis, das sich in allen anderen Geheimnissen und Offenbarkeiten wiederholt und ihnen sein Siegel aufdrückt; Trinität als Trinität will sich teilgeben, indem sie uns in ihr Leben einbezieht.3 Die Selbstmitteilung der Trinität, ihr Geschehen im Geschehen der Nachfolge, der Übersprung ihrer Struktur in die Struktur der glaubend nachfolgenden Existenz wiederum hat ihren Endpunkt nicht allein im je Einzelnen. Die „Seele“, der unvertretbar Einzelne, der ich bin, spielt zwar bei Bonaventura eine entscheidende Rolle; doch darüber hinaus – man möchte sagen: noch „größer“, noch „trinitarischer“ – wird das Geheimnis der sich trinitarisch verströmenden Liebe offenbar in der Kirche und endgültig im himmlischen Jerusalem, in der Gemeinschaft der Heiligen. Erst von solcher trinitarischen Communio her erhält Bonaventuras ekklesiologische Grundbestimmung, nach der Kirche Sich-gegenseitig-Lieben heißt, ihre Tiefe.