Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung

Triplizität des Grundes

Ursache – Grund sind für Baader erste und allgegenwärtige dynamische Bestimmungen. Jegliches Geschehen entfaltet sich, sofern es geschieht, in diesem Urdualismus und seiner Aufhebung. Alles, was im Gange eines Vollzuges oder einer Bewegung zu einem folgenden Moment hin vermittelt, sich verbergend und ihn tragend ihn vorwegnimmt, ihn also faßt, erscheint in der Proportion des Grundes. Erfüllt und eigentlich ist Grund hingegen erst dort ausgesagt, wo er als die eine und entscheidende Mitte eines in sich geschlossenen Geschehenszusammenhanges auf seine gestalthaft­leibliche Vollendung hin begriffen wird. In dieser – unsere Gesamtbetrachtung leitenden – Hinsicht aber ist Grund als Mitte selbst nochmals „vermittelt“.

Baader gelangt zu dieser Deutung aus der sein Denken bestimmenden Situation der Entscheidung, des „Glaubens“, in welchem der Wille sein Ziel sich „zu Grunde“ legt, die anima das ubi ihres amare erwählt. Solches aber gelingt nicht selbstverständlich. Der Grundfassung, von der aus sich sodann die Verleiblichung gewährt, liegt die entscheidende Krise voraus. Der gewonnene Grund begreift als Mitte selbst schon den Weg des anfangenden Prinzips zu seinem in dieser Mitte geschenkten Anfang mit ein. Ins Allgemeine gewendet: „Wenn die Mitte einer Sache diese selbst ist als deren Konkretheit, so denkt man sich dieselbe nicht als unmittelbar, sondern durch Aufhebung ihrer ersten Unmittelbarkeit, somit durch Vermittelung entstehend und fortbestehend, nämlich so, daß die unmittelbare Einheit sich in zwei Abstracta aufhebt, und diese Aufhebung aufhebend aktuos sich reproduziert.“1 Die „Zerlegung“ des Gründungsprozesses in seine im Gelingen je ineinandergesetzten Momente ergibt eine „Triplizität des Grundes“2 : „Die Kausalität (Wille) stellt sich als in der Triplizität von Idea, Natur und Grund (Mitte oder Logos) sich manifestierend dar.“3

Grund ist die entscheidende Fassung des Zieles, des „Damit“, welches das gesamte Geschehen leitet. Ist er gewonnen, so liegt der Weg zum Erreichen des Zieles frei. Die im Grund gelungene Fassung des Zieles sagt in sich aber zweierlei aus und setzt dieses beide ineins: Das Ziel ist „offen“, ist anwesend – und es ist als solches ergriffen. Bloße Anwesenheit dessen, was das Ziel ist, „faßt“ es noch nicht als Ziel; bloßes Fassen ohne die ihm gewährte Offenheit und Sichtbarkeit des Zieles faßt nur sich selbst und also nichts. Die bloße Offenheit und die bloße Bezüglichkeit, in Baaders Sprache Idea und Natur, bilden erst in ihrer „Konjunktion“ den Grund4. Sie stehen so, vom ersten Ausgang der Ursache her, auf seiten des Grundes.

[89] Wo sie an sich selbst, vor der Konjunktion, in den Vollzug durchbrechen und die proportionale Stelle des Grundes einnehmen, bleiben sie in der Schwebe, das Ziel zu erfassen und doch nicht zu fassen; Baader bemerkt, daß „nicht die unmittelbare erste Gründung oder Fassung die rechte ist“5. Auf den Gewinn des eigentlichen Grundes zu fallen sie noch in die „Ungründigkeit“ der Ursache, sind sie Ausgriff zum Grund hin, erscheinen so als „Kausalitätshälften (Halbkausalitäten)“6.

Baader stellt daher zwei Momente der Gründung fest, so „daß alles Leben, um vollendet zu sein, zweimal geboren werden oder daß jeder Lebensgeburtsprozeß zwei Momente durchlaufen muß“7; und zwar ist zu unterscheiden „zwischen der Dissemination (Zerstreutheit) des Seins als dessen unmittelbarem Entäußertsein, welches auch als Indifferenz bezeichnet wird, und zwischen der Konzentration als der unmittelbaren Aufhebung jener sowie der Expansion als der durch letzte vermittelten Äußerlichkeit des Seins“8

Der „unmittelbare“ Ausgang der Ursache führt in die Offenheit, die ohne fassende Rückbindung bloße Zerstreuung, bloße Ausschüttung der Fülle bedeutet, die nicht an sich genommen und so nicht unterschieden ent-schieden ist, unergriffene, also noch un-mögliche Möglichkeit. Sie muß eben von der „Attraktion“, von der – für sich allein gerade leeren – Bezüglichkeit zurückgebunden, zur entschiedenen Möglichkeit erhoben, als „Grund“ gewonnen werden, der sodann die Expansion ins leibhaftige Sein hinein trägt.

Leibhaftiges Sein ist Fülle der Einheit und Einheit der Fülle, wechselseitige lntegrierung der beiden zur Identität sich selber erfüllender Einheit. Daher macht in der Idee „die Vielheit, in der Einheit aufgehoben, dieser ihren Inhalt“: die Fülle des Ursprungs bricht auf, wird als Fülle aber dem in sie „verlorenen“, „zerstreuten“ Ursprung gar nicht offenbar. Hingegen macht in der Natur „die Einheit, in der Vielheit aufgehoben, den Inhalt dieser letzteren“9 : sich auf sich beziehend entfaltet sich der Ursprung ins Gegenüber zu sich, Beziehung ist Aufgang der Vielheit; was diese „Vielheit“ aber sucht, ist ihre Versöhnung im einfältigen Besitz ihrer selbst, ist die Einheit, die als ergriffen selbst erfüllende Fülle, als entschieden selbst unter-schieden, gegliedert, gestaltet, eben leibhaftig ist.

Die dynamische Bedeutung von Idee und Natur faßt Baader im Wortpaar „Lust – Begierde“10. Idee als noch unergriffene, in Einheit aufgehobene Fülle ist „Inhalt“, ist die „Lust“ des Seinsaktes, nach welcher dieser, um eben zu sein, „begehrt“, die er „will“. Wo das Begehren seine Lust erlangt, die Lust sich dem Begehren läßt, ereignet sich der „Blitz“ der Gründung, das Fassen des Zieles.

Die Entsprechung des hier erst formal umrissenen Gedankens zu den Verhältnissen, die unmittelbar an der Erfahrung des Wollens auf seinen [90] entschiedenen Anfang hin beobachtet wurden11, liegt auf der Hand und erweist sich in Baaders Aussage allenthalben.

Proportional spiegelt sich in der Vermittlung der Ursache zum Grund dieselbe Dreizahl dynamischer Richtungen, die bereits in der Vermittlung durch den Grund und in der von ihr vermittelten Leibhaftigkeit des Seins beobachtet wurde: Ausgang, Bleiben, Rück- und somit möglicher Weitergang. Die Ursache öffnet sich unmittelbar über sich hinaus, zur „Idee“. Ihr tritt die „Konzentration“ des Begehrens, das haben und die Fülle der Idee zum „Bleiben“ binden will, gegenüber. Wo beide einander finden, da geht der Seinsakt als gegründet zum Ursprung zurück und über sich hinaus in Gestalt und Werk.


  1. RPh 26 I 222. ↩︎

  2. X 266; vgl. SpD 4,17 IX 136. ↩︎

  3. Hegel IX 304 Anm. 1. ↩︎

  4. Siehe Hegel IX 303. ↩︎

  5. X 266. ↩︎

  6. SpD 5,8 IX 214. ↩︎

  7. Blitz II 36; vgl. III 327; FC 6,8 II 403. ↩︎

  8. SpD 5,2 IX 173. ↩︎

  9. SpD 1,7 VIII 66. ↩︎

  10. Vgl. II 504 f. Anm.; X 273 f.; XVI 306 f. „Lust-Begierde“. ↩︎

  11. Vgl. Abschn. I dieser Untersuchung. ↩︎