Das Heilige und das Denken

Überblick des Zugangs

Was zeigt sich dem Denken auf seinem Weg, den es aufs Heilige zu als einen Weg zu sich selbst zu gehen versuchte?

Denken, so zeigt sich zunächst, ist als fassendes Denken dem Heiligen unangemessen. Fassend unterwirft es sich sein Gedachtes, in dieser Unterwerfung wird das Gedachte zwar offenbar als das, was ist und insofern je mehr als bloß gedacht ist. Fassendes Denken ist indessen das Insichsetzen dieses Mehr, der Sieg des Denkens über dieses Mehr, seine Entzauberung – dem fassenden Denken als einem solchen kann nichts heilig, von sich selbst her unberührbar und doch es berührend in ihm mächtig sein.

Im fassenden Istsagen verwandelt das Denken das ihm Andere in sein Eigenes, eben ins gefaßt Gedachte. Es strebt in letzter Konsequenz gar danach, sich zur alles setzenden und entwerfenden Alleinigkeit aufzurichten. Aber auch in dieser Alleinigkeit konstituiert es sein Entworfenes doch als seiend, und d. h. als von sich, dem Seienden, und nicht von ihm, dem Denken her seiend. Auch und gerade wo die Freigabe des Seienden an sich selbst durchs Denken sich nicht mehr als Gehorsam, sondern als schöpferische Tat versteht, bleibt die Frage, ob es auch wahrhaft und letztlich so sei, wie das Denken es sich denkt, oder zumindest die Frage, ob es noch sinnvoll oder gar nötig sei, diese Frage zu stellen.

Die Alleinigkeit des fassenden Denkens, die alles, aber sich selbst nicht mehr zu fassen vermögende Subjektivität, bleibt aus sich selbst eben: allein und gerade darin, in der Einsamkeit ihrer Frage an sich selbst, blickt sie über sich hinaus.

Dieses Blickes innezuwerden ist keine Konsequenz des Fassens [44] als eines solchen; zwingendes Fassen kann nicht über sich hinaus gezwungen werden, aber es lebt aus der Frage, aus der Beunruhigung vom Sein, und es kann sich in sie, in ihren Hinblick lassend freigeben.

Denken wird sich unerzwingbar, aber eindeutig gewiß, von seinem Wesen her nicht fassen und zwingen, sondern sein lassen zu wollen. Die Frage, die auch dem Fassen zugrunde liegt, läßt von sich her aufgehen und sich gewähren, was sie selbst nicht mehr verfügt und vermag. Nicht das beherrschende Fassen, sondern erst das gehorsame Fragen erfüllt den transzendentalen Anspruch des Denkens, nichts außer sich zu lassen; denn die zulassende Gebärde des Fragens ist nicht mehr wie die zugreifende Gebärde des Fassens sich selbst entzogen: Fassen faßt sich nicht selbst, doch Fragen befragt sich selbst, was und warum sein Fragen sei. Darin aber überfragt dieses Fragen den von ihm umspannten Raum möglicher Antwort, weil jede von ihm erhobene Antwort sich selbst wieder in die Bewegung des Fragens zöge. Es wird zur Anfrage, es gerät in die sich durchhaltende, aber im Durchhalten sich über sich hinausgebende Fraglichkeit seiner selbst: Was ist es und woher rührt es, daß ich frage, daß ich fragen kann und fragen darf? Die Frage fragt nach ihrer Ermächtigung, das Denken übernimmt sich aus einem schlechthin nicht mehr zu fassenden Woher, welches sich nicht einstellen läßt in die Geräumigkeit der Möglichkeiten des Denkens, sondern seinerseits das Denken allererst zeitigt.

Dieser seiner Zeitigung inne, wird das Denken als dasselbe, was es ist, doch verwandelt, es wird gestimmt in den Ernst der Verantwortung und in den Mut seines Dürfens. Es wird sich verdankendes und darin verweisendes Denken. Sein Bezug erschöpft sich nicht mehr in umgreifbarem, zwingbarem Etwas, sondern bezeugend, rühmend, erzählend, letztlich: sich glaubend bezieht es sich auf das unsägliche Woher seiner Zeitigung, seiner es allererst an sich gewährenden Schranke seiner selbst.

Diese erweist sich als die Umkehrung aller Faßbarkeit: nicht Tatsache, sondern Freiheit, nicht Etwas, sondern Geheimnis, nicht [45] Ursache, sondern Wunder, wobei solche Prädikate nicht verfügend aussagen, sondern verweisend sich hineinsagen in die sie selbst je überholende Richtung reiner Gewähr.

Der zurückgelegte Weg des Denkens umspannt also zwei Abschnitte: der erste ist Weg des Denkens zu seinem Woher, Weg der Frage, auf dem die begegnenden Bestimmungen im Denken liegen, Bestimmungen des Denkens sind; der zweite Abschnitt hebt an vom Wendepunkt der sich ins antwortend nicht mehr einholbare Woher überfragenden Frage und wird zum Weg des verdankenden Verweises, auf welchem die begegnenden Bestimmungen des Denkens von diesem hinweg auf sein verwiesenes Woher zublicken.