Der Gekreuzigte

Vaterlos

Mit dem Bild ist in sich selber Schluß.
Genauer: Mit Dem am Kreuz ist in sich selber Schluß.
Er blickt nicht auf zu einem Antlitz, das ihn anblickte.
Und sein Blick nach unten fällt nicht in einen bergenden Schoß.
Die ans Kreuz genagelten Hände sind nicht nach vorne oder oben ausgestreckt im Gestus der Bitte.

Durchhängend und zusammengezogen,
beides zugleich sein Leib.
Aber wo kommt mein Blick überhaupt an in diesem Bild?
Er findet seinen Weg von rückwärts seitlich oben.
Er trifft den am Kreuz Hängenden im Nacken.
Was für ein Weg: von rückwärts seitlich oben in den Nacken!
Der Blick gleitet den Längsbalken des Kreuzes entlang, bis er auf den Leib des Gekreuzigten stößt.
So aber verwandelt sich das Bild.
Die in sich verharrende Gespanntheit und Gekrümmtheit des Korpus
tritt doch in Beziehung.

In Beziehung wozu?
Ort der Beziehung: der Nacken.
Was liegt auf dem Nacken?
Nichts. Ein lastendes Nichts, das grenzenlos von oben hereinbricht.

Und dann sieht der Blick plötzlich mehr: auch links vor und über dem Gekreuzigten: Nichts.
Auch unter und hinter dem Kreuz: Nichts.
Und wo die nach vorne stoßenden Knie den Bildrand berühren, auf den auch der
geneigte Kopf und die angewinkelten Füße weisen:
wiederum Nichts.

Im Nichts, vom Nichts, ins Nichts.
Vaterlos, Gott-los.

Da bist du.
Und da hälst du meinen Blick fest, da bannst du mich,
daß ich bei dir bleibe.
Und du, der in sich Gekrümmte und Gewinkelte,
Ausgespannte und Eingeschlossene,
rührst mich an, machst mich still,
bist mir Wort.
Du sprichst mir – wovon?

Vom Nichts über dir, unter dir, um dich.
Und wenn ich dich lange genug zu mir habe sprechen lassen
in deinem Schweigen,
dann kann ich es nicht mehr sagen: Vaterlos, Gottlos.