Wegmarken der Einheit

Verankerung in der Mitte des Evangeliums

Die Hierarchie als das Sakrament der einzigen Mittlerschaft Jesu, als die Hingabe seiner Hingabe für die Welt! Das ist nicht ein äußerer Anhang an die Grundsubstanz des Evangeliums, ein Zusatz zum eigentlichen Geist und zur eigentlichen Botschaft Jesu, auf den man notfalls verzichten könnte, wenn die Menschen einer Generation dafür kein Verständnis mehr aufbringen. Dieses Geheimnis wächst vielmehr aus der Mitte des Evangeliums selbst hervor. Wie können wir die Seligpreisungen der Bergpredigt und die Gleichnisse von der Barmher- [101] zigkeit des Vaters, der den verlorenen Sohn aufnimmt, und des Hirten, der das verlorene Schaf sucht, für uns in Anspruch nehmen wollen (vgl. Lk 15,1–32), dabei aber der Härte jener Worte entgehen, die uns sagen: „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab“ (Lk 10,16)? Dieses Wort und die vielen anderen, die hier zu nennen wären und die uns hineinführen in die Dynamik der Sendung Jesu, müssen uns zu denken geben. Diese Dynamik hat immer eine Grundstruktur. Sie scheint am deutlichsten auf in jenem Satz des Auferstandenen bei Johannes: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21).

Ein Grundwort in der Botschaft Jesu heißt wie. Jesus predigt das Reich Gottes. Gott ist nicht einer, der nur in einem fernen Himmel thronen will, sondern er möchte, daß das Leben des Himmels auf dieser Erde geschieht. Der Wille Gottes soll geschehen, wie im Himmel so auf Erden (vgl. Mt 6,10). So sagt es Jesus im Vaterunser, und so sagt er es nach Johannes in seinem Abschiedsgebet: „Laß alle eins sein, wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin!“ (Joh 17,21). Jesus hat das Leben des Himmels auf die Erde gebracht; weil er nicht von sich kommt, sondern vom Vater, ja weil in ihm Gott selber auf diese Erde kommt. In Jesus wird der Sinn der Heilsgeschichte deutlich: Das Leben Gottes soll in diese Welt eingehen, soll alle Geschichte durchdringen und sie sich anverwandeln. Alle Verhältnisse dieser Welt sollen „imprägniert“ werden mit dem Leben Gottes; und das geschieht in der doppelten Bewegung: Gott schenkt sein eigenes Leben, und wir treten in dieses Leben ein, leben, wie Gott lebt. Darum sollen wir vollkommen sein, wie der Vater im Himmel vollkommen ist, und einander so lieben, wie Jesus uns geliebt hat (vgl. Mt 5,48 und Joh 13,34).

Zwischen den beiden Seiten, die durch dieses Wie verbunden, sozusagen zur Gleichung miteinander gebracht werden sollen, geschieht aber ein Prozeß. Es ist der Prozeß der Vermitt- [102] lung. Jesus ist der Mittler zwischen Gott und den Menschen, das heißt: Er vollbringt dieses Gleichheitszeichen, er allein. Er trägt Gott in unsere Welt und trägt uns und unsere Welt in Gott hinein. Er lebt als Gott unter uns Menschen und lebt als Mensch in Gott. Dieser Prozeß ist durch sein Leiden und Sterben und seine Auferstehung vollendet, aber er muß sich in Raum und Zeit hinein auswirken, bis ans Ende der Welt und der Zeiten. Und hier hat eben die genannte Dynamik ihren Ort, die Dynamik jenes anderen Wie, des Wie der Sendung.

Wer gesendet wird, der soll das, was er empfängt, anderswohin tragen, damit es auch dort gegenwärtig sei, offenbar werde, Wurzeln fasse. So ist eben derjenige, der am Herzen des Vaters ruht, der bei ihm ist von Anfang an (vgl. Joh 1,18), der Gesandte schlechthin. Alles, was der Vater weiß, was er hat und ist, das ist ihm anvertraut. Er bringt die Fülle seines Lebens zu uns. Wer ihn sieht, der sieht den Vater (vgl. Joh 14,9). In Jesus handelt, wirkt, spricht der Vater. Weil Jesus aber zu allen gesendet ist, weil seine Botschaft der ganzen Welt gilt, weil er alle erreichen will, deshalb sendet auch er wiederum Menschen aus und kann solche Sendung nicht aufhören bis ans Ende der Tage. In dieser Sendung kann nicht weniger als er selber leben und lebendig werden; wenn er die Seinen in alle Welt hinaussendet, dann müssen sie die Gewähr haben, daß er bei ihnen bleibt bis zum Ende der Welt (vgl. Mt 28,20). In der Tat, wer den hört, den er sendet, der muß ihn selber hören.

Nur so können auch die ungeheuerlichen Worte wie jene an Petrus (vgl. Mt 16,19) und in der Folge an die Apostel (vgl. Mt 18,18) gedeutet werden: Was Menschen hier auf Erden verbindlich machen und lösen, soll auch im Himmel genauso gelten. Wie auf Erden, so im Himmel! Dieser Satz ist nur zu verstehen, wenn auf Erden der handelt, der im Himmel ist, der Herr selbst.

Man könnte zusammenfassen: Die Dynamik des Evange- [103] liums ist die Dynamik des Wie. Sendung des Christen und Sendung der Kirche ist die Treue zur Vaterunser-Bitte: „Dein Wille geschehe wie im Himmel“. Sicher wird die letzte Erfüllung dieser Bitte jener Vollendung durch Gott vorbehalten bleiben, die den neuen Himmel und die neue Erde schafft (vgl. 2 Petr 3,13; Offb 21,1). Aber schon jetzt soll Stück um Stück das Leben des einzelnen Christen und der Kirche durchdrungen werden von diesem Wie. Grundsätzlich ist dieses Wie in Jesu Tod und Auferstehung und in der Sendung des Geistes schon in unsere Geschichte hineingepflanzt. Wir sollen diese Dynamik leben, indem wir danach trachten, heilig zu sein, wie er heilig ist (vgl. 1 Petr 1,16); wir sollen lieben, wie er uns geliebt hat. Damit aber Kirche dieses Lebenszeugnis geben kann, muß sie die Kraft von ihm, die Wahrheit und Heiligung von ihm empfangen. Dies geschieht dadurch, daß die wirkmächtige Botschaft des Todes und der Auferweckung Jesu und seines Geistes uns übertragen wird. Darum: wie der Vater seinen Sohn als Mensch in diese Welt gesendet hat, so sendet Christus Menschen, in denen er selber wirkt und lebt durch die Kraft seines Geistes.