Das Wort für uns

Verfügbar für das Wort

Ein dritter Name ist mehr als ein weiteres Beispiel: Maria, die Mutter des Wortes. In ihrer vorbehaltlosen Leere von sich selbst, in ihrer reinen Verfügbarkeit für das Wort, das an ihr ge- [75]schehen soll, ist sie die Hohlform, das Negativ des fleischgewordenen Wortes, das Gefäß, das Raum hat für den, der unendlich größer ist als sie. In ihr ist nicht ein Wort der Einstieg in die Fülle des Wortes, in ihr ist nicht nur eine Station des Lebens Jesu gelebt. Sie ist das Mitleben mit ihm, das Zuleben auf ihn, sie ist die äußerste Möglichkeit des Geschöpflichen: Spiegelbild des ganzen Wortes, in dem alles erschaffen und erlöst ist. Ihr Weg aber ist das immer neue Nichtwissen, das Nichtkönnen, die Unplanbarkeit, das „Augenblick für Augenblick“. In ihr findet sich nichts als sein Wort – und gerade darum finden in ihr die Menschen aller Jahrhunderte sich selbst: Mutter der Betrübten, Zuflucht der Sünder, Heil der Kranken.

Auch unser Leben soll Geschichte des Wortes Gottes werden. Vielleicht gibt uns dazu einer der großen Gründer, eine der großen Gestalten der Christenheit das Stichwort. Vielleicht heißt unser Stichwort aber auch Maria: Leben von Augenblick zu Augenblick, Leben von Wort zu Wort, Leben auf einem Weg, der äußerste Einfachheit mit äußerster Offenheit verbindet. Die Menschheit hat noch nie so sehr im Gesamtbe- [76]wußtsein ihrer Geschichte, noch nie so sehr in einer unteilbaren Gemeinschaft aller mit allen gelebt. Noch nie war so sehr das Ganze unser Horizont, das Ganze unsere Aufgabe – und doch ist unser Heute so punktuell, so sichtlos, so zurückgenommen in das Nacheinander bloßer Augenblicke und in das Nebeneinander bloßer einzelner. Die Welt braucht das ganze Wort, das universale Wort, und sie braucht es gelebt auf dem Hintergrund unseres Nichts, gelebt im Schweigen unserer Bedeutungslosigkeit, gelebt von Maria.

Nur das Wort, das mich und dich und alles sagt, kann die Welt zusammenbinden, kann die Parzellierung und Isolierung überwinden und zugleich das Kollektiv aufsprengen ins Geflecht lebendiger Beziehungen. Dann aber muß das Wort nicht nur von mir, es muß zwischen mir und dir, es muß im Wir, in der Gemeinschaft, gelebt werden. Nachfolge ist immer Nachfolge des einzelnen, unabnehmbarer Entscheid. Doch dieser Entscheid geht nicht nur vertikal auf Jesus zu, er heißt ebenso Anschluß an die konkrete Gemeinschaft des Glaubens. Wenn das Wort in uns Fleisch werden will, dann können wir uns [77] nicht in Distanz zu der Kirche halten, die berufen ist, der Leib des Wortes zu sein, und die – sagen wir es ruhig – dieser Leib in der Tat ist, wenn auch noch so oft verstellt und verbildet. Die Härte der Institution können wir uns nicht ersparen, wenn wir uns nicht die Fleischwerdung des Wortes selbst ersparen wollen.

Daß Kirche aber mehr ist als bloß Institution, wird dann erfahrbar, wenn sie zur Gemeinschaft des Wortes wird, in der möglichst viele möglichst konkret und möglichst ausdrücklich einander das Wort zuspielen, zuleben.

So wird das Wort zwischen uns geboren, so wird das Wort selbst hörbar und vernehmbar im Stimmengewirr und in der Monotonie. Der Weg Mariens ist nicht nur Weg für einzelne. Wir sollen miteinander Schoß sein, der das Wort empfängt, es austrägt und es gebiert, dasselbe Wort, das neue Wort, Wort für das Leben der Welt.