Christus nachgehen

Vergleich und Fazit

Die negativen und die positiven Punkte sind unmittelbar aufeinander bezogen. Beide müssen ernst genommen, beide dürfen nicht isoliert gesehen werden. Die negativen können durch Apologetik oder Modernisierung nicht aufgearbeitet werden, die positiven allein wären eine zu schmale Basis für ein tragfähiges, „ganzes“ Christentum. Versuchen wir, die sechs positiven mit den sechs negativen Punkten jeweils in einer Frage zu verbinden, die eine Aufgabe an Verkündigung und Pastoral signalisiert.

a) Wie kann uns gerade in der Nähe des Bruders, Freundes und Vorbildes Jesus die Größe des entzo- [28] genen Gottes erschlossen werden? Wie lernen wir Kirche, Sakrament, Gnade als die Nähe jenes uns unendlich überragenden Geheimnisses verstehen, ohne das wir uns und den Sinn des Lebens verfehlen?

b) Wie kann der unabdingbare, absolute Anspruch der Botschaft Jesu als die Kraft plausibel werden, die zur unbefangenen und universalen Begegnung, zur radikalen Annahme alles Menschlichen führt? Wie kann das unterscheidend Christliche als die Kraft des verbindend Menschlichen erfahrbar gemacht werden?

c) Wie können lebendige Zellen von Gemeinschaft im Namen Jesu wachsen, die sich nicht als Ersatz der Institution Kirche, sondern als ihre Lebensform verstehen, in der die übergreifende, unverkürzte communio, die Katholizität sichtbar wird? Wo sind kleine Zellen so offen über sich hinaus, daß sie nicht Getto werden, sondern Bausteine der einen Weltkirche? Wie wird im Leben solcher Zellen aus dem Wort Gottes die Verbindlichkeit von Dogma und Norm als das gemeinsame, tragende Fundament christlichen Lebens anschaulich?

d) Wie kann der Jesus von „damals“ als der gegenwärtige und kommende Herr, wie kann umgekehrt der Herr unserer Zukunft als jener verkündet und vermittelt werden, der durch die Tradition der Kirche auf uns zukommt? Wie können wir lernen, [29] daß nur die Treue zum Evangelium und seiner Überlieferung uns befähigt zum Wagnis der Zukunft?

e) Wie können wir durch das Kreuz Christi in die Wirklichkeit hineinwachsen, daß Passion die höchste Aktion für den Menschen und daß christliche Aktion die Frucht der Passion Christi ist? Wie können wir uns Heil und Vergebung aus dem Leiden Christi schenken lassen? Wie können wir unsere eigene Ohnmacht und Grenze annehmen und zugleich den höchsten Einsatz wagen, indem wir all das Unsere tun, was Not und Schuld und Elend in der Welt zu wenden hilft?

f) Wie kann aus demselben Glauben der doppelte Mut wachsen: Kirche nicht zu lieben, weil sie so gut ist, sondern weil der Herr in ihre Armseligkeit sich selbst und seinen Geist hineingegeben hat, und doch alles zu unternehmen, damit sie durch unser Leben aus dem Evangelium glaubwürdig und transparent wird für ihn?

Überblicken wir nochmals den zurückgelegten Weg. Man könnte die Not junger Menschen vor dem übergroßen Anspruch des Christentums und der Kirche zusammenfassen in den Satz: Das können wir nicht, Glaube an diesen Christus, Glaube in dieser Kirche, das geht nicht! Wir finden keinen Weg! Und an die positiven Ansätze könnte man die umgekehrte Frage richten: Geht von hier aus der Weg wirklich bis hin zum ganzen, unverkürzten Anspruch des Chri- [30] stentums? Ersparen wir in der bloßen Beschränkung auf das, was von diesen positiven Ansätzen ausgeht, uns nicht jene Not der Jünger, die an ihre eigene Grenze, an jene Schranke stießen, an welcher es von ihnen aus nicht weiterging? Die entscheidende Frage ist die Frage nach dem Weg, der die ganze Spanne durchmißt zwischen dem fernen und fremden Anspruch des Glaubens und jener Nähe, die uns unmittelbar anspricht und berührt in der Botschaft des Evangeliums und den Impulsen, die Kirche aus ihm gewinnt. In der Nähe den Anspruch, im Anspruch die Nähe nahebringen – das wäre eine zunächst gewiß nur formale, aber den Anspruch doch kennzeichnende Formel für das, was angesichts der Glaubenssituation unserer jungen Generation fällig ist.