Aufgabe der Universalität – Aufgabe der Identität

Verlust von Herkunft – Krise der Geschichte*

Vor 25 Jahren hat man noch auf ein breiteres Wissen vieler von Geschichte zurückgreifen können, das heute großenteils weggefallen ist. Geschichte ist fremd. Zwar gibt es Zeichen eines neuen Interesses an ihr, aber manche Verliebtheit ins Historische ist eher das sehnsüchtige Spiel mit etwas, von dem man träumt und mit dem man sich schmückt, als daß da wirklich erfahren würde: die Geschichte ist meine Geschichte. Die Kontinuität mit der Geschichte ist für viele Menschen heute innerlich zerbrochen. Rasch ist man gegenüber geschichtlichen Erfahrungen mit der Ausrede bei der Hand: Ja und? Wir sind doch heute anders. Warum heute nicht einmal andersherum? Cur non? Warum denn nicht? Historische Argumente ziehen von innen her kaum. Geschichte als der Raum, in dem wir herangewachsen sind zu uns selbst, ist weithin dem Bewußtsein abhanden gekommen. Und wenn wir heute neu von Tradition reden, dann steckt dahinter oft mehr ein Zurückwollen in das, was war, um einen geschützten Raum im Gewesenen zu finden und die gegenwärtige Herausforderung nicht zu bestehen, als eine Übernahme dessen, was war, im spannungsvollen Weitertragen des Gewachsenen in die neue Aufgabe der Gegenwart und der Zukunft hinein. Wer unterrichtet, wer vielerlei Erfahrungen mit jungen Menschen macht, dem fällt es nicht schwer, ihre Werte und Chancen zu entdecken, aber er wird wohl auch bestätigen, daß es eine merkwürdige Ohnmacht gegenüber dem Geschichtlichen gibt. In der kraftraubenden Anstrengung neuzeitlichen Geistes, alles aus durchschaubaren Bedingungen, alles aus wiederholbaren Prämissen, alles aus sich selbst herauszupressen, möglich zu machen und in Szene zu setzen, ist eben weithin der Überschuß der Geschichte über das bloße Ex- [98] empel und über das bloße Material fürs Machbare abhanden gekommen.