Theologie als Nachfolge

Vermischung oder Trennung der Ansätze?

Der invokative Charakter der Theologie läßt sich im Sinne Bonaventuras von ihrem Ansatz nicht trennen. Wie steht es aber dann mit der Philosophie in der Theologie? Ist sie eine allein von außen und oben beanspruchte Hilfswissenschaft, fällt sie aus der inneren Einheit und Stringenz der Struktur theologischen Denkens heraus? Daß die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie [55] und Theologie auch eine heutige ist, dessen wurden wir schon gewahr. Auch dessen, daß Bonaventura hier einen eigenen Weg gegenüber Thomas einschlägt. Doch wie gehören nun, vom Ansatz Bonaventuras her betrachtet, theologisches und philosophisches Denken zusammen? Ein oberflächlicher Blick stößt auf zwei einander widersprechende Befunde. Der eine: die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Philosophie und Theologie ist Bonaventura geläufig – er bemüht hierfür eine augustinische Formel: „Was wir glauben, schulden wir der Autorität, was wir einsehen, der Vernunft.“1 Der andere: die Totalität seines theologischen Denkens scheint Bonaventura mitunter unversehens zu einem Überspringen der Differenz zu verleiten. Davon gibt es bei ihm zwei konträre Spielarten: Nicht selten wird Philosophisches gut philosophisch abgehandelt, aber die Anrufung Gottes, die Bitte um sein Licht und seine Gnade, der gesamte Kontext stecken dem einen „verfremdend“ theologischen Rahmen ab. Umgekehrt erörtert Bonaventura rein theologische Inhalte dergestalt, daß das Glaubensgeheimnis wie eine unabweisliche Konsequenz philosophischen Denkens erscheint. Für die erste Spielart ist allerdings insgesamt – eine Aufrechnung einzelner Gedanken und Positionen im Gesamtwerk kann hier nicht unsere Sache sein – der heilsgeschichtliche Kontext der Philosophie im Sinne Bonaventuras heranzuziehen, der die Frage nach „bloßer“ Philosophie abstrakt erscheinen läßt – wir werden hierauf noch zu sprechen kommen. Für die zweite Spielart muß in Anschlag gebracht werden, daß Bonaventura selbst an den herangezogenen Stellen sein Vorgehen reflektiert, darauf hinweisend, daß die von ihm hier angebotene „ganze“ Philosophie keine „bloße“ Philosophie, sondern deren Integration von oben, aus dem anderen Ursprung des Glaubens her ist.

Philosophie und Theologie sind für Bonaventura also insgesamt keineswegs dasselbe, die eine verdrängt oder ersetzt auch nicht die andere, wohl aber stehen sie in einer konkreten gegenseitigen Zuordnung, die für beide, wenn auch auf verschiedene Weise, konstitutiv ist: Nicht nur ist Theologie ohne philosophische [56] Implikationen nicht möglich, sondern auch Philosophie ist von sich her in einen Kontext zur Theologie gewiesen, den sie freilich nicht von ihrem Eigenen her aufschließen kann, der wohl aber vom Theologischen her ihr Eigenes aufschließt.


  1. Breviloquium I, 1. ↩︎