Theologie als Nachfolge

Vermittelnder Zugang: Phänomenologie des Anfangens

Wenden wir uns einen Augenblick lang scheinbar von Bonaventura weg und einer direkten Erprobung des Satzes, man müsse bei der Mitte anfangen, zu. Das verlangt uns die Mühe eines abstrahierenden und minutiösen Gedankenganges ab, der zunächst nur wenig für unser theologisches Interesse zu erbringen scheint, seine aufschließende Funktion aber für Bonaventuras Logik vom Ende her erweisen wird. Anfang, so könnte man in einem allgemeinsten Sinn sagen, ist Grenze zwischen einem in ihm Entspringenden und seinem Noch-nicht. Diese Grenze setzt einen mittleren Punkt in den Verlaufsraum von Zeit, innerhalb dessen Anfang als Anfang allererst erscheint. Wir können, genau genommen, Anfang je nur als mittleren Punkt denken; denn wir denken im Jeweils das Noch-nicht, somit aber leere, unerfüllte Zeit voraus. Als Grenze ist Anfang so bereits Mitte. Diese äußerste Schicht einer möglichen Betrachtung des Anfangs verwandelt und steigert sich, sobald wir von innen her, von dem, was angefangen hat, Anfang zu fassen versuchen. Dies kann freilich nur geschehen, indem wenigstens latent das Modell des Bewußtseins zugrunde gelegt wird, in welchem Anfang als Anfang vorkommt – wenn von diesem Modell aus auch eine Extrapolation auf bloß Vorhandenes möglich ist. Wenn etwas anfängt, im intransitiven Wortsinn, dann springt es ein in seine Identität mit sich; indem es anfängt, fängt es an zu sein, was es ist. Damit aber geschieht eine doppelte Unterscheidung: einmal es unterscheidet sich von anderem – der Anfang ist der Ansatz der Grenze zwischen ihm und dem anderen, Grenze aber als jene Mitte, die es ans andere, das andere an es stoßen läßt und somit es in sein Eigenes hinein konstituiert. Zum anderen: es unterscheidet sich zu sich – was in der Folge geschieht, bezieht sich auf den Anfang nur, [66] sofern es die Entscheidung des Anfangs fortsetzt, entfaltet, variiert, aber – wie auch immer – durchsichtig sein läßt. Der Anfang ist nicht nur Zeitpunkt, sondern auch, ja noch mehr, Mittelpunkt, um den das Folgende sich zentriert, von dem das Folgende zu einer Einheit zusammenwächst. Gerade daran wird verständlich, inwiefern das lateinische Wort für Anfang principium einen nicht nur zeitlichen Sinn hat, sondern auch Prinzip bedeutet; der eigentliche Anfang ist jene Mitte, die sich als das einheitstiftende Prinzip in einem Geschehen, in einem Wesen, in einer Beziehung, in einer Epoche durchsetzt. Nächste Stufe von Anfangen, die sich freilich im nachhinein genauer als die übernächste erweisen wird: transitives Anfangen, Etwas-Anfangen. Wenn ich etwas anfange, dann ist das erste, mich auf dieses Etwas zu konzentrieren, meine Aufmerksamkeit und meine Kräfte aus der bloßen Schwebe, aus der neutralen Zerstreuung heraus auf einen Punkt zu richten: Das will ich, das tue ich. Ich setze also einen Punkt, und auf diesen Punkt streben nun meine zum Anfang benötigten Potenzen zusammen. In diesem Punkt meiner Konzentration aber geschieht etwas Merkwürdiges: dreifache Mitte. Einmal finde ich selbst meine Mitte. Anfangend, mich auf meinen Anfang konzentrierend, bin ich „da“. Wer nicht ganz „da“ ist, kann nicht anfangen. Sodann aber ist genau in diesem Punkt meines Daseins auch die Mitte gesetzt, aus welcher das von mir Angefangene als dieses Unterscheidbare und Entschiedene aufgeht, meine Konzentration konzentriert es zu sich selbst; die auf der zweiten Stufe von uns gezeichnete innere Mitte des intransitiv Anfangenden berührt sich mit der Mitte meines transitiven Mich-Zusammennehmens zum Anfangen. Damit aber ist der Anfang in einem dritten Sinn Mitte: als meine, des Anfangenden, Mitte und als Mitte des anderen, des Anzufangenden, ist der Anfang Mitte zwischen mir und meinem anderen: in dieser Mitte, die mich und mein Anzufangendes voneinander abgrenzt, geschieht zugleich ein Überspringen, ein Hinüberreichen des beiden ineinander. Was ich anfange, muß in mir sein, damit wirklich ich es angefangen habe und es mir nicht nur widerfahren ist: das andere in mir. Ineins damit bin aber auch ich in dem, was ich anfange; [67] denn andernfalls habe nicht eigentlich ich das angefangen, was da losgeht. Es trägt an seinem eigenen Sein meinen Plan, meine Idee, zumindest mein „Schuldsein“ daran, daß es ist. Anfang ist Mitte, die mich und das andere je in sich entscheidet und uns voneinander unterscheidet und die zugleich uns ineinandersetzt.