Propädeutische Überlegungen zur Glaubensvermittlung
Vermittlung*
Jede Sache muß sich zeigen, um etwas zu bedeuten, und sie muß sich mir zeigen, um von mir überhaupt angegangen, gewußt, geliebt werden zu können. Indem sie sich zeigt, geht sie sozusagen von sich her einen Weg, erschließt sich, teilt sich mit. Die vielen Einzelheiten, die mir an ihr auffallen können, gehören zusammen, indem ich sie von einer einzigen Mitte her lese, und indem von der Mitte her die Sache so aufgeht, daß ich sagen kann: Ja, das ist es, darum geht es, darauf kommt es an! Zugleich aber muß ich sagen: Mir kommt es darauf an! Die Mannigfaltigkeit dessen, was ich zunächst und zumeist wahrnehme, kommt in ihr Zusammengehören aus meiner Freiheit im Raum meines Sehens und Denkens; denn mir fällt das mir Wichtige auf. Die Mitte der Sache und die Mitte des Sehenden müssen sich füreinander öffnen, den Weg zueinander suchen. Nur so geht die Wirklichkeit in ihrer Tiefe und in ihrer Vielfalt auf. Wegen der gemeinsamen Mitte, in der Sache und Verstehen sich finden, kann Aristoteles sagen: „To on pollachos legetai – Die Sache kann auf vielfache Weise verstanden werden.“1 Vermittlung hat also mit der Sache zu tun. Es zeigte sich, daß der Weg zur Sache jenes Gespräch ist, in welchem die Sache und der auf die Sache Sehende, auf sie Hörende, sich jeweils in ihrer Mitte treffen. Dieses zunächst scheinbar zweiseitige Gespräch ist aber in seiner Offenheit schon immer angelegt auf anderes Sprechen und Hören hin. Vermittlung hat es also mit mir, mit der Sache und mit anderen und anderem zu tun. Diese Dreiseitigkeit läßt sich auf die Kurzformel bringen: Aus der Mitte eines anderen, der mir eine Sache vermittelt, geht mir diese Sache [103] in ihrer Mitte so auf, daß sie meine eigene Mitte trifft und aus ihr neu aufgeht.
In den verschiedenen Gesprächskontexten läßt sich die Mitte einer Sache freilich recht verschieden betrachten. Denn dieselbe Sache kann in unterschiedlichen Vermittlungsprozessen eine unterschiedliche Sache sein. Wenn ich etwa den Isenheimer Altar in der Perspektive eines Holzhändlers oder eines Farbenchemikers betrachte, ist er etwas ganz anderes als in der Perspektive eines Mystikforschers oder Kunstgeschichtlers. Die materiell selbe Sache kann also im jeweiligen Gesprächszusammenhang aus einer verschiedenen Mitte ihrer selbst aufgehen, und deshalb wird auch meine eigene Mitte von der Sache je anders angegangen, angerührt, beschworen.
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Aristoteles: Ton meta ta physika – Metaphysik, 1003a 33. ↩︎