Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung

Verschiedene Gestalten desselben Gedankens

Dem in sich Einfachen wird eine in ihrer Eindeutigkeit sich erschöpfende Formel endlichen und daher aus der „Differenz“ entsprungenen Denkens [114] nicht gerecht. Innerhalb der Ungemäßheit dieses notwendig auseinanderfaltenden Denkens gewinnt das Einfache seine gemäße Gegenwart in der Vielfalt scheinbar gegenläufiger Hinblicke. Entsprechend beschränkt sich Baaders spekulative Entfaltung des göttlichen Selbstgeschehens nicht auf den wiedergegebenen Weg. Zwei anders gerichtete Weisen des – deutlich genug – selben Gedankens sollen hier nur im Grundriß genannt werden. Selbstgeschehen als „Gliederung“ des Ursprungs in seine dreipersonale Gestalt zu verstehen, versuchte der bislang mitverfolgte Ansatz Baaders. Wesen des Selbst ist das Beisichsein und so die Identität des Selbst als Ursprung mit sich als Wesen. Von hier aus entfaltet sich das Selbst in die drei aktiven Momente seiner Ursprünglichkeit. Diese setzen die Wendung des Ursprungs zum Wesen voraus, wenn auch die Einheit des Selbst mit seinem Wesen und also das Wesen als solches erst das Vollbrachte, das Ergebnis der aktiven Dreifältigkeit ist. Bei dieser Struktur des Selbstseins setzt ein zweiter Hinblick Baaders an. Er ist besonders eindrucksvoll ausgeführt im Aufsatz „über den biblischen Begriff von Geist und Wasser in Bezug auf jenen des Ternars“ (1830)1.

Den Anlaß eines dritten gewinnt er aus der Erkenntnis, die auch seinen Gang zur Erkenntnis des Daseins Gottes bestimmt: Nur das Du, das Mich­-sehen, ist das eigentliche Objekt meines Sehens2. Mögen Idee und Natur das vollendete Sichfinden und Sichbesitzens Gottes „vermitteln“, der Vater findet und besitzt sich eigentlich im Sohn kraft der Einheit des Geistes. Er ist, dem Schwerpunkt des Vollzuges nach, nicht bei seinem Beisichsein (der Idee), sondern bei sich (dem Sohn), 'wenn bei sich auch nur, weil im Beisichsein. Das Selbstgeschehen Gottes ist vollendet, indem „Gott (der Vater) zur Geburt des Sohnes, d. i. zum Reflex als Person, Objekt“ kommt3; dies begreift den Geist als Person mit ein, denn „in der Identität dieses Objektes mit sich als Subjekt wird Gott Geist“4; der Sohn ist ihm nur „Reflex“, weil ihn der Geist als solchen ihm zurückgibt. Baader schaut – entsprechend auch der bedachten Vermittlung des Grundes durch Idee und Natur – die entwickelten Momente des göttlichen Selbstgeschehens so ineins, daß der ganze Prozeß als Weg des Vaters zum Sohn erscheint. Diese Sicht ist dargestellt in einem Textabschnitt, den die Gesamtausgabe unter den 26. Satz der „Vorlesungen über religiöse Philosophie“ rückt5.

Die genannten Gedankenwege knüpfen bei der Erfahrung des Urbezuges menschlichen Selbstseins zum göttlichen Gott an, die sich ausspricht im Grundsatz: „Pater in filio, filius in matre“6. Während der Mensch nur „zu Stande“ kommt, wenn er sich dem Gott „über ihm“, dem „Imperativ“ läßt und zugleich von Gott „unter ihm“, von ihm als mütterlich erbarmendem Grund, von seinem „Dativ“ getragen wird, ist Gott der sich in [115] sich selbst unbedingt Genügende, indem er als Ursprung zu sich als Wesen, er als „Vater“ zu sich als „Mutter“, je schon ausgegangen ist, sich in sich selbst schon je gefunden hat. Im anfänglichen Ausgang des Ursprungs zum Wesen „enthebt“ sich dieses seiner „Selblosigkeit“ als bloße Stätte und gibt ihm, als der aktive Geist, sich selbst als den Sohn7, ähnlich wie der Mensch als Vater, zu „sich“ unterwegs, das Weib findet, dieses ihn als Sohn ihm wiedergibt und sich selbst so zur „Personalität“, zum aktiven, die wesenhafte Selbigkeit des Vaters und Sohnes in seiner einen Liebe vollbringenden Element erhebt8. Baader ist ausdrücklich bemüht, die naheliegende Verkürzung und Verzeichnung in seinem kühnen Bild auszuschließen9. Er betont auch, daß solcher Bezug der sich aus dem Wesen empfangenden Dreipersonalität nur wechselseitig zugleich als Eingang der aktiven Dreipersönlichkeit ins Wesen zu denken ist10. Bedeutsam ist die dynamisch-architektonische Selbigkeit des menschlich bedürfenden Gottbezuges mit dem göttlich erfüllten Selbstbezug.

Ist der Mensch in seinem eigenen Gottbezug die Mitte, um die es ihm geht, so wird er in der verwandelnden Übertragung auf den göttlichen Selbstbezug dem „Sohn“ in Gott proportional vergleichbar. Dies ist entsprechend im dritten der von Baader eingeschlagenen Wege spekulativer Entfaltung göttlichen Selbstgeschehens die entscheidende Hinsicht. Während der Mensch in seinem Gottbezug je erst zu erfüllen bleibt, ist der Sohn in Gott der schlechthin Erfüllende, die je schon gewonnene „Mitte“ Gottes in sich selbst. Idee und Natur, schauende Lust und Begehren seiner selbst sind unmittelbar und zugleich vom Vater her die „vermittelnden“, im Sohne je schon begriffenen, versöhnten, in die erfüllte Identität verschlungenen „Pole“ des göttlichen Selbstgeschehens, das hier als der vorbildend-ermöglichende Grund der wollenden Selbstbestimmung des Menschen erschaut ist: „Jacob Boehme nimmt nun den Urwillen für diese unmittelbare Einheit, welche im Akte der Selbstkontemplation, sich beschau­end, was er doch ist, in zwei Abstracta, in die Freiheit außer der Natur (Sophia) und in die Strengheit in der Natur, in die objektive Lust, das Schauen und Sehnen, und in die subjektive, aktiv verlangende Begierde, aus- und gegeneinander tritt. Denn jedes Erkennen beginnt mit einer solchen Abstraktion des Subjekts und Objekts und vollendet sich mit dem Begriff beider.“11

Der „Sohn“ ist dieser „Begriff“, doch eben absolut immanenter Begriff, der als solcher die „Abstraktheit“ der Momente nicht „zu sich kommen“ läßt, sondern je schon in sich gelöst hält als der „Blitz“ des ewigen göttlichen „Jetzt“, seiner vollendeten Gestalt12 : „Cognoscens se genitor se generat filium. Denn die gezeugte Mitte ist immanent und der Gott-Sohn nicht etwa ein fortgepflanzter Gott.“13

In dieser letzten Hinsicht aufs trinitarische Selbstgeschehen berührt Baa- [116] der so den Anlaß der Lehre, die im Sohn die causa exemplaris der Schöpfung erblickt14. Wie der Vater sich je und ganz im Sohn gefunden hat, will er sich, wenn auch ohne von „Not“ dazu getrieben zu sein, entsprechend im Geschöpf, im Menschen zumal, „finden“. Baader führt aus, wie Gott nur durch die „ihm innebleibende Geburt“ des Sohnes ein „lebendiger Gott“ ist. Es „kann aber nur aus dem selben Vater, aus und in welchem der Sohn durch lngeburt urständet, und in welcher Ingeburt Gott sich in seiner Lebensevolution selber vollendet und integriert, eine Kreatur urständen, und zwar gleichsam nur vorwärts oder aufwärts dem Sohn zu; oder mit anderen Worten: Nur der Gebärer kann zugleich der Schöpfer sein, ohne daß jedoch der Gebärungsakt oder der Sohn mit dem Geschöpfe vermengt werden dürfen“15. Schöpfung setzt vielmehr den in sich durch die Eingeburt des Sohnes bereits vollendeten Schöpfer und so die ganze Trinität voraus, „weswegen die Theologen sagen, daß bei aller actio Gottes ad extra alle drei Personen zugleich wirken“16.

Der Gedanke, in dem Baader das Selbstgeschehen Gottes zu entfalten sucht, wird als die Voraussetzung seines Gedankens der Schöpfung bestätigt am – nunmehr sich selbst erklärenden – „Programm“, das er selbst für den letzteren entwirft: „Dieses Außersichhervorbringen des absoluten Geistes ist nun aber 1) ein freies und nicht mit jener innern Geburt, auch nicht mit einer äußern Geburt und Zeugung (aus Instinkt und Not hervorgehend) zu vermengen. 2) Der absolute Geist teilt sich nicht mit diesem seinem Hervorbringen in seiner Substanz und läßt von seiner Ganzheit nicht ab, so wie das Wort von mir aus-, nicht abgeht. 3) Zugleich geht aber auch dem absoluten Geist nichts zu, und er bedarf dieser Äußerung nicht etwa zu seiner eigenen Vollendung. 4) Der absolute Geist als schöpfend erschöpft sich nicht im Geschöpf, jener geht im letzteren nicht auf, wie das Zentrum in der Peripherie nicht aufgeht. 5) Der Geist betätigt dieses sein freies Hervorbringen nur damit, daß er ein zwar von ihm unterschiedenes, aber auch nicht von ihm getrenntes und unabhängiges Daseiendes teils zu seinem Mitwirken, teils zu seinem werkzeuglichen Wirken darstellt und sich unterstellt.“17


  1. X 1–16. ↩︎

  2. Vgl. Anth. IV 240. ↩︎

  3. RPh 26 I 223. ↩︎

  4. RPh 26 I 224. ↩︎

  5. I 222 oben bis 224 oben (anschließend Wechsel der Perspektive); vgl. SpD 1,7 VIII 66. ↩︎

  6. RE 9 IV 187; vgl. XVI 375 („Pater in filio . . .“) und 502 („Vater und Mutter") sowie Abschn. II 2. dieser Untersuchung. ↩︎

  7. Vgl. Geist X 12 f. ↩︎

  8. I 39–48. ↩︎

  9. Siehe Geist X 7,8,10 mit Anm.; ferner SpD 1,11 VIII 112 if. Anm.; X 328. ↩︎

  10. Geist X 13. ↩︎

  11. RPh 26 I 222. ↩︎

  12. Vgl. z. B. MM 3 XIII 173. ↩︎

  13. RPh 26 I 223. ↩︎

  14. Vgl. etwa Bonaventura, In Sententiarum lib. I dist. 6 qu. 3; Illuminationes Ecclesiae in Hexaemeron, sermo 12. ↩︎

  15. VI 82. ↩︎

  16. SpD 5,17 IX 261 Anm. 1. ↩︎

  17. RPh 23 I 214 f. ↩︎