Endgültigkeit und Offenheit
Versuch eines Ansatzes
Jeder Versuch, Christentum in den Dialog mit anderen Weltanschauungen zu bringen, gibt – zumindest indirekt – eine Antwort auf die eben gestellte Frage. In schematischer Vereinfachung dargestellt, zeigen sich dabei drei unterschiedliche Ausgangspositionen:
1.1 Man geht davon aus, daß die in Christus geoffenbarte Wahrheit unüberbietbar, endgültig für die ganze Geschichte der Menschheit maßgeblich ist. Sinn des Dialogs ist es im letzten sodann, die Partner von dieser Wahrheit zu überzeugen. Man wählt das Mittel des Dialogs, einmal weil die christliche Wahrheit nur in Freiheit angenommen werden kann und darum auch in freilassender Weise angeboten werden muß, zum anderen weil man auf die „anima naturaliter christiana“, d.h. auf die grundsätzliche Offenheit menschlicher Natur für die christliche Botschaft vertraut.
1.2 Ein anderer Ansatz zieht eine scharfe Trennungslinie zwischen Mission und Dialog. Ein Gespräch zwischen einem überzeugten Christen und dem überzeugten Anhänger einer mit dem Christentum nicht zu vereinbarenden Weltanschauung über die gegensätzlichen Grundpositionen wird abgelehnt, weil ein Dialog, der die Aufgabe des eigenen Standpunktes von vornherein ausschließt, keiner zu sein scheint. Eine Übereinstimmung in Teilwahrheiten, Einzelzielen und gemeinsamen Interessen ist bei diesem Ansatz freilich durchaus denkbar. Hier eröffnet sich der Raum für den Dialog, er dient dem besseren Verstehen der fremden und so auch der eigenen Position; er ist zugleich eine Hilfe für das Zusammenleben unterschiedlicher Überzeugungen in derselben Gesellschaft und für den gemeinsamen Einsatz bei der Verfolgung gemeinsam verantwortbarer Ziele.
1.3 Dialog erhält einen wiederum anderen Sinn und eine wiederum andere Gestalt, wenn er einerseits die Fragen der weltanschaulichen Grundpositionen nicht aus- sondern einschließt, andererseits aber dem Grundsatz zustimmt, daß Dialog das Ergebnis für beide Seiten letztlich offenlassen müsse. Wo Christen sich als Christen einer solchen Form des Dialogs glauben stellen zu können, da ist freilich ein Verständnis der Endgültigkeit des Christentums im Spiel, das von den bisher gezeichneten Ansätzen entscheidend abweicht. Die Forderung unbedingter Offenheit für die Wahrheit wird als die Forderung verstanden, die eigene Überzeugung je neu zu relativieren. Endgültige Wahrheit im strikten Sinn kann es demnach nicht eigentlich geben; auch die „endgültige“ Offenbarung Gottes in Jesus Christus könnte andere, im Laufe der Geschichte sie ergänzende, steigernde, ablösende Gestalten von Wahrheit nicht im vorhinein ausschließen. Der Glaube bzw. die Weltanschauung der Partner bestimmt nach diesem Ansatz nur die Ausgangsposition zur gemeinsamen Wahrheitssuche.