Franz von Baaders Philosophischer Gedanke der Schöpfung
Vertrautheit vor dem Dasein
Die Bewegung des Denkens, welche die Vertrautheit allem Erkennen, ja allem Begegnen voraus in ihrer reinen Mitte zu greifen sucht, ist noch nicht an ihr Ende gelangt.
Wenn wir mit jedem Begegnen eines Begegnenden grundsätzlich der bloßen Vertrautheit bereits entraten sind, so noch ursprünglicher mit unserm Dasein, mit unserm bestimmten Einzelsein und Vorkommen in der Welt selbst. Kraft der Vertrautheit, die sich als unser Wesen, als das, was wir sind, erwies, sind wir anfänglich schon über alle bloße Vorhandenheit hinaus. Im Begegnen, so sahen wir, werden wir in die Lage versetzt, uns aus der vorweg in unserm Wesen aufgehobenen Vorhandenheit nachträglich wiederaufheben zu müssen.
In diesem Ausgangspunkt unserer Wiederaufhebung in unser Wesen hinein finden wir uns aber unablöslich damit, daß wir sind. Wir sind als die über alle bloße Vorhandenheit wesentlich Erhobenen – vorhanden. Daß ich und du überhaupt und so und hier und jetzt da sind, ist selbst nicht ableitbar aus dem Innen unserer Vertrautheit, sondern zusätzliche Nachholung zu ihr. Wir sind ineins mit unserm Dasein auch schon auf dem Sprung, unser innezuwerden, innezuwerden unserer Andersheit gegenüber allem andern, unserer Einzelheit, Bestimmtheit und Aufgegebenheit an uns selbst; wir sind von Anfang an eingelassen in die Ordnung des Begegnens wie alles Vorhandene, wie alles, was da ist. Indem die wirkliche Welt als Inbegriff alles wirklich Daseienden bestimmt und entschieden ist, deutet ihr Dasein bereits auf etwas wie eine ihm vorgängige Auseinandersetzung hin. Welt ist Wiederholung dessen, was sie ist. Vertrautheit enthüllt sich so nicht nur als Sein unseres Gewollten in uns, bevor wir es wollen, unseres Erkannten in uns, bevor wir es erkennen, unseres Begegnenden in uns, bevor es begegnet, sondern in letzter Härte als unser eigenes Sein, ehe wir sind. Und doch ist dieses Sein in uns, macht uns zu dem, was wir sind, und ist Boden, Gesetz und Ziel unseres uns selbst vollbringenden Zutuns.
An dieser Stelle ist das Ende des ersten Armes unserer Antwort erreicht. Zugleich bahnt sich der Übergang an zur Ausführung des anderen Armes. Denn mag auch mit unserm Dasein die Ordnung des Entscheids grund- [27] sätzlich schon da sein – die Situation, selber entscheiden zu müssen, ist unserm Vollzug gleichwohl immer neu aufgegeben, und so bleibt die vorgängige Vertrautheit auch innerhalb unseres Daseins erfahrbar mächtig.