Christliche Spiritualität in einer pluralistischen Gesellschaft
Verunsicherung im Innern
Bedrängender als die Bestreitung von außen ist für Christen etwas anderes: das zerbröckelnde Einverständnis derer, die sich als Christen verstehen, in dem, was sie [87] als ihre Mitte verstehen. Was heißt: Christus ist die Mitte des Christentums? Läßt sich das überhaupt in Sätzen eindeutig festhalten? Gewiß, man wird auf Sätze nicht verzichten können – aber man kann auch nicht auf die Interpretation dieser Sätze, auf ihre Übersetzung ins heute Zugängliche verzichten.
Doch gerade hier liegt das Dilemma: Selbe Sätze sind dort keine Basis mehr, wo die Interpretationen auseinanderklaffen. Und die Scheidung zwischen dem, was unaufgebbare Substanz des Christlichen, was sein harter Kern und was bloß Rankenwerk, Zutat, Schale ist, das Ringen um Kurzformeln und um die Hierarchie der Wahrheiten, führt in dieselbe Ratlosigkeit: Wo liegen die Maßstäbe; was nützt es, wenn wir statt vieler Dogmen und vieler theologischer Lehrsätze in einem System eine Fülle von Kurzformeln und Deutemodellen des Christlichen, eine Fülle von Systemen angeboten bekommen? Die Frage nach der Mitte des Christlichen wird durch die vielerlei Antworten, die sie erfährt, indessen nur um so drängender.