Sprechen von Gott

Vierte These:

Organ des Sprechens Gottes, des Sprechens zu Gott und des Sprechens über Gott ist das Dasein.

Wenn mein Sprechen zu Gott mein Schweigen vor ihm zur Voraussetzung hat und wenn mein Schweigen vor ihm mich selbst mit [52] allem, was zu mir gehört, enthalten muß, dann ist das Organ meines Sprechens mit Gott nicht etwas von mir, mein Verstand, mein Wille, mein Gefühl, sondern ich selbst, mein ganzes Dasein. Mit Gott spricht man nicht nebenbei. Und auch von ihm läßt sich nicht nebenbei reden. Ja ein Gott, den ich mit weniger als mit dem Einsatz meines ganzen Daseins erkennen könnte, wäre nicht der „ganze“ Gott, der Gott, der mich als mich und in allen Dimensionen meines Wesens und meiner Existenz sein läßt. Franz Rosenzweig macht dies in seiner, wie er es nennt, „messianischen Erkenntnistheorie“ deutlich:[2] Logisch Zwingendes und experimentell Ausweisbares läßt sich zwingend erkennen, es erfordert zu seiner Bewährung den Einsatz meines objektivierbaren, von mir ablösbaren, den allgemeinen, zwingenden Gesetzen entsprechenden Erkenntnisvermögens. Die Wahrheit des Ästhetischen erfordert demgegenüber bereits die Beteiligung meines „Mitspielens“. Gewiß hat ein Kunstwerk seine objektivierbaren Gesetzmäßigkeiten, die als solche von jedermann gewußt werden können. Wenn aber ein Kunstwerk in seinem je Eigenen als Kunstwerk aufgehen soll, dann erfordert es die Einmaligkeit und Jeweiligkeit des mitspielenden Sich-Einlassens, seine Wahrheit geht nur auf, wenn ich, unerzwinglich, mich ihm öffne. Personale Wahrheit, Wahrheit eines lebendigen Du, erfordert dieses Einlassen in einer noch radikaleren Weise: Ich muß im Ernst dem anderen gegenübertreten, ich muß mich selbst ihm exponieren, um ihn sich mir schenken und ihn in mich selbst eintreten zu lassen, ich muß bereit sein – und das eben ist der „Ernst“ –, als ein anderer aus der Begegnung mit dem anderen hervorzugehen. Wo es aber um die Wahrheit geht, die mich und alles sein läßt, von der her alles allererst ist, was es ist, und die allem erst Sinn und Maß und Erfüllung gewährt, da kann ich schlechterdings nichts von mir draußen lassen, da ist Organ meiner Bewährung dieser Wahrheit, um es mit Rosenzweig zu sagen, das „Blut“.

Diese Aussage wäre fehlinterpretiert, wenn man hier anstelle [53] einer rationalen eine bloß „existentielle“ Erkenntnis gefordert sähe; die Existenz, das Blut schließt die Logik nicht aus, sondern ein. Die Logik der Gotteserkenntnis freilich schließt ihrerseits das Blut, das Dasein nicht aus, sondern ein. Dieser Logik entspricht auch die Grammatik des Sprechens von Gott, eines Sprechens, das im Sprechen und als Sprechen, das aber auch im Leben und Sterben geschieht.

Wenn Sprechen zu Gott und Sprechen von Gott als Organ das Dasein im ganzen beanspruchen, so ist dies Antwort nicht nur darauf, daß ich als ganzer, ich als ich selbst nur von Gott her bin, sondern auch, ja mit Vorrang Antwort darauf, daß das Organ des Sprechens Gottes zu mir Gottes Dasein selbst ist. Gott ist der radikal Einfache, er ist jener, der ganz da ist in dem, was er tut. Sein Sprechen ist Mitteilung seiner selbst – auch Gott spricht nicht nebenbei. Dies gilt für eine philosophische Analyse, wofern sie überhaupt vom „Sprechen“ Gottes reden kann; es gilt aber zumal für die christliche Offenbarung, in deren Mitte das Wort steht, das Gott ist und das sich selbst im Fleisch in unsere Wirklichkeit hineingesagt, das sich selbst mit seinem Blut uns zugesagt hat.