Person und Gemeinschaft – eine philosophische und theologische Erwägung
Vierter Schritt: Die Öffnung der Subsistenz in sich zur Kommunikation
Die Formel des Boethius und ihr folgende, teilweise präzisierende Formeln bei den Scholastikern können, ja müssen in doppelter Richtung gelesen werden. Dies wird exemplarisch deutlich an einer Bemerkung von Thomas von [37] Aquin: „... persona significat id quod est perfectissimum in tota natura; scilicet subsistens in rationali natura.“1 Hierbei kommt das Wort Natur in zwei Bedeutungen vor. Am Schluß, als „rationalis natura“ im bei Thomas üblichen Sinne, nämlich gleichsinnig mit Wesen, essentia, aber akzentuiert als Prinzip jenes Wirkens, das mit dem Sein unmittelbar verbunden ist und aus ihm folgt. Doch der Gebrauch des Wortes Natur im ersten Halbsatz hebt sich davon ab, hier ist offenbar die Gesamtheit des Seienden gemeint. Die Vorstellung des Seienden ist jene der „physis“, der Entfaltung, des Aufgangs des Seins in die Fülle seiner Wesenheiten und Arten hinein. Dieses Gesamt, das in naturhafter Gliederung angeschaut wird, gipfelt im Geist, genauer in der Person, die die in sich stehende Existenz eines Seienden meint, dessen Wesen eben Geist ist.
Person wird in diesem Ansatz nicht von Geschichte, Verantwortung, Kommunikation, Gemeinschaft her gelesen, sondern von Natur, von einem Sein her, das in sich unterscheidende genera und species gegliedert ist. Wo dieses Grundverständnis des Seins vorherrschend ist, da läßt sich ontologisch kaum ein Verbindungsweg zwischen Personalität und Gemeinschaft vermuten.
Es gibt aber eine zweite Sichtweise, die bei der inhaltlichen Füllung dessen ansetzt, was als die rationalis natura erscheint. Dieses Geistwesen (rationalis natura) geht nicht darin auf, eine Seinsweise neben anderen Seinsweisen zu bezeichnen, im gesamten Kosmos des Seins (in der Natur als dem alles, was ist, Umfangenden) eine Region neben anderen Regionen des Seins zu umschreiben; vielmehr geht es beim Geistwesen um das Sein als solches, um das Sein im ganzen. Es besetzt nicht nur einen umgrenzten Bereich auf der Landkarte des Seienden, vielmehr ist sein Bereich die Landkarte im ganzen. Was etwa Thomas von der „anima“, von der Geistseele des Menschen sagt, erhellt – bei aller fälligen Distinktion zwischen Seele, Person und Geistwesen – inhaltlich das Geistwesen als solches. Die anima ist „nata“ (also von ihrer Natur her angelegt darauf), mit allem, was ist, übereinzukommen. Sie ist in diesem Sinne „gewissermaßen alles“2. Es gehört nicht nur zur menschlichen Seele, sondern zur Geistnatur als einer solchen, daß das Sein als Sein in den Blick kommt, daß alles unter der Hinsicht auf das Sein selber gesehen, gewollt, ergriffen, vollzogen wird. So aber ist der „Anteil“ der Geistnatur das „Ganze“, das sie Unterscheidende die universale Einschließlichkeit.
[38] Es versteht sich von selbst, daß hiermit keineswegs eine ontische Vereinnahmung aller Seienden für die Geistnatur erfolgt, ganz im Gegenteil. Indem alles, was ist, in seinem Sein gesehen und bejaht wird, indem von dort aus der Wahrheits- und Gutheitsvollzug in Gang kommt, ist ja zugleich ein Gegenübersein zu allem, was ist, begründet, das nicht untergeht, indem z. B. die Seele „alles“ ist. Die Geistnatur kann subsistieren nur in der Person. Die Person aber, die kraft der in ihr subsistierenden Geistnatur alles in ihren eigenen Horizont einbezieht, ist ihrerseits der Selbstand des geistig Seienden, somit der Grund des Gegenüberseins zu allem, was ist. Das „convenire“, die wesensmäßige Verbundenheit mit dem, was ist, die Einung mit dem Seienden und seinem Sein hat in der Person zugleich den Charakter der Unterscheidung. Geistnatur ist also bestimmt durch den untrennbar einen Bezug zum Sein, zu allem, zu sich selbst. Im Lichte des Seins nämlich ist alles im Blick und ist der Blick auf alles sich selbst im Blick. Der Vollzug der Geistnatur, ihr Ort, in dem sie stehen und bestehen kann, ist die Person. So rücken, tiefer betrachtet, in den Aussagen des Boethius, des Thomas und der anderen großen Denker, die zwischen den trinitarischen und christologischen Auseinandersetzungen der frühen Kirche und dem Hochmittelalter das Verständnis der Personalität entfaltet haben, die beiden Charaktere der Ausschließlichkeit und Einschließlichkeit von Person in einen unmittelbaren, sich gegenseitig bedingenden Kontext. Weil die Person nicht von einem anderen aufgenommen und übernommen werden kann, sondern in sich selber steht, steht sie zu allem, steht alles in ihr; weil ihr der Bezug zu allem aus dem Bezug zum Sein her eignet, steht sie zu sich selbst in Bezug und somit allem gegenüber. In dieser Verfaßtheit aber eröffnet sich eine Annäherung zwischen Person und Gemeinschaft. Das Bedenken ihres inneren Zusammenhanges gewinnt einen Ansatz.