Erzählen von Klaus Hemmerle. Beitrag zu einer Austauschtagung

Vierter Schritt - Eine mögliche Sicht auf die Missbrauchsdebatte

Wie könnte dieser Stil nun also gelebt werden? Was erzählen wir von Klaus Hemmerle gerade heute angesichts der Veröffentlichung des Gutachtens zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Bistum Aachen? Optionen stehen zur Genüge im Raum:

  • Die Geschichte eines verblendeten Ideologen? [Der im Gefolge seiner eigenen Theologie nicht einsehen konnte, wie böse Menschen sein können?]
  • Die Geschichte eines treuen Kirchenmanns? [Dessen Frauenbild an den Katechismus anschließt?]
  • Die Geschichte eines überforderten Bischofs? [Der seinen Generalvikar walten ließ?]
  • Die Geschichte eines sanftmütigen, schwächlichen Seelsorgers? [Der auch im Amt nah und nahbar blieb?]
  • Die Geschichte eines Bischofs, der besser war als seine Nachfolger? [Dessen früher Tod sein Handeln vielfältiger Imagination und Idealisierung überlässt?]
  • Die Geschichte eines „Systemideologen“? [Eine Bezeichnung Hemmerles, die laut einem Zeitzeugen Karl Rahner zugeschrieben wird.]

Nähmen wir je einzelne Erzählungen heraus, oder nähmen wir uns einzelne Texte, Erlebnisse, Artefakte des Wirkens Hemmerles vor – wir fänden sicherlich für all diese Ansätze Argumente darin (unabhängig davon, ob diese zustimmungsfähig wären oder nicht).

Weil wir nicht davon ausgehen, dass es die eine, nahtlose, richtige Erzählung von Klaus Hemmerle geben kann, wollen wir nicht über die Legitimität einzelner Erzählungen entscheiden, sondern ihre Gültigkeit nebeneinander vermitteln. Es gibt sie nicht, die Geschichte von Klaus Hemmerle. Und nur deshalb müssen wir von unseren Geschichten mit ihm erzählen. Darin hat es seinen berechtigten Platz, intellektuelle Genialität zu entdecken, ebenso wie Elemente des Versagens, der Innovation, der Schwäche.

Als Vorstandsmitglieder des Klaus-Hemmerle-Werks wollen wir nicht unsere Geschichte mit Klaus Hemmerle auf einer Webseite präsentieren; auch nicht die Geschichte von Mirjam und Andree von und mit Klaus Hemmerle. Wir wollen ermöglichen, dass von und mit Klaus Hemmerle erzählt wird. Dass diejenigen, die den verschiedenen Textzeugnissen begegnen, weitererzählen. Aber wir möchten vermeiden, die Position einer Deutungshoheit einzunehmen.

Denn was es vor einer Vereinnahmung zu schützen gilt, ist die Möglichkeit, in der Begegnung mit Klaus Hemmerles Erbe den Spielraum einer Vielfalt von Erzählungen zu betreten.