Theologie als Nachfolge

Vollkommenheit heißt Drei-Einigkeit

Vollkommenheit wird von drei Seiten her bestimmt: Vollkommenheit als Ursprünglichkeit, Vollkommenheit als Ordnung, Vollkommenheit als unteilbare Einheit. Dem liegt eine eigentümliche „Phänomenologie“ des Vollkommenen zugrunde: Vollkommen ist, was in sich selbst mächtig ist über sich hinaus (Ursprung); was in sich selber stimmig ist, in seiner eigenen Proportion so auf sich zurückläuft, daß der das Vollkommene suchende Aufstieg nicht mehr weitergedrängt ist (Ordnung); was so unzerreißbar sich selbst gehört, daß keine äußere oder innere Macht es zu spalten und somit in Frage zu stellen vermag (unteilbare Einheit).1

Vollkommenheit des Ursprungs: Sein, von dem Anderes ausgeht, also Ursprunghaftes ist vollkommener als solches, das in bloßer Vorhandenheit auf sich selbst gebannt ist. Ursprünglichkeit selbst erreicht wiederum ihre Spitze, wo ihr Entsprungenes nicht nur Vorhandenes ist, sondern Ursprung, der anderen Ursprung entspringen läßt. In höherem Maße aber als beim dreifaltigen Gott läßt sich solche Ursprünglichkeit nicht denken, und wo sie anders denn als dreifaltige Ursprünglichkeit gedacht ist, da ist ihre Vollkommenheit als Ursprünglichkeit gerade nicht erreicht. Dieser [154] erste Gedanke ist der Grundgedanke des Ganzen, der sich in seinen folgenden Spielarten bestätigt und durchklärt. Vollkommenheit als Ordnung: Nur dann, wenn Ursprünglichkeit sich ganz aus sich bringt, aber auch ganz in sich zurückbringt, ist sie vollkommene Ursprünglichkeit. In sich selber durchmißt sie, um vollkommen zu sein, so die Stationen von Anfang, Mitte und Ziel.2 Diese dürfen aber nicht auseinanderfallen, sondern müssen im selben bleiben, und sie müssen jede in sich das Ganze enthalten. Gleichwesentlichkeit und Differenz aller Pole der Relation sind Zeichen der vollkommenen Ordnung. Diese Ordnung nun ist als Ordnung des einen Ursprungs Ordnung von Drei-ursprünglichkeit. Zweifaltigkeit müßte, so oder so, zur Konfusion führen:3 Entspränge dem ersten Ursprung nur ein weiter-entspringen-lassender Ursprung, so verlöre sich Ursprünglichkeit in der Richtung von sich weg; faßte sich Ursprung in einem nur entsprungenen Ursprung, so käme sie nicht als Ursprünglichkeit hervor, sie entflöhe als Ursprünglichkeit in ein sichtloses, grenzenloses Woher. Vollkommener Ursprung faßt sich in den Ursprung, der mit ihm zusammen jenen rein entsprungenen Ursprung setzt, der das Zusammengehören der Ursprünge und somit das Ganze re-flektiert, Ursprünglichkeit in einem endgültigen „Ja so ist es gut, ja so soll es sein“ zu sich bringt, zu sich bringt aber gerade so, daß darin Ursprünglichkeit als Sich-Überschreiten, Sich-Mitteilen gewahrt und offen ist. Über-sich-Hinaussein, In-sich-selbst-und in sich selbst Am-Ziel-Sein, gehören in der Ordnung des Ursprungs zusammen; d. h., der Sohn, von dem der Geist mitausgeht, und der Geist, der von beiden ausgeht und in dem sie in sich zurückgehen, gehören in den Vollzug der absoluten Ursprünglichkeit Gottes. Hier und anderwärts legt Bonaventura daher auf das „filioque“, darauf also, daß der Heilige Geist vom Vater und vom Sohn zugleich ausgeht, nachdrückliches Gewicht.4

Vollkommene Ursprünglichkeit würde demnach unterboten, wo sie entweder als Zweieinigkeit verstanden würde oder aber wo nur zwei „Söhne“ oder zwei „Heilige Geister“, d. h. wo zwei bloße Mittel- oder zwei bloße Endpunkte dem Vater entsprängen. Der ungezeugte Ursprung, der einziggezeugte und mithauchende [155] Sohn, der von Vater und Sohn gehauchte Geist sind die Strukturmomente vollkommener Ursprünglichkeit. Vollkommenheit der Ursprünglichkeit bewährt sich nur als Vollkommenheit der Ordnung: hier ist in letzter Instanz der Hinweis aus dem Itinerarium eingelöst, der die Unbedingtheit, die Unzerreißbarkeit Gottes aufdeckt in der Proportion, in der Beziehung, in jener Ordnung, die Verhältnis, Mitursprünglichkeit besagt. Vollkommenheit der unzerreißbaren Einheit: Dieses Thema setzt mit innerer Stringenz das der Vollkommenheit der Ordnung fort. Bonaventura geht die unterschiedlichen Weisen, wie Einheit vorkommt, durch und stellt fest: Ein in sich einfaches Prinzip ist nicht fähig, aus sich allein, aus seiner Einfachheit Anderes bereits zu konstituieren – seine Einheit ist zu schwach, um vollkommen zu sein; Einheit, wie sie in Konstituierten vorkommt, weist auf konstituierende Einheit zurück und ist auch in sich nicht mehr einfache Einheit – sie trägt sich nicht selbst; Einheit in den universalen Bestimmungen kommt nicht vor an sich selbst, sondern an dem, wovon diese Bestimmungen abgelesen sind; individuelle Einheit ist Vorkommen der einen Form, der einen Wesensgestalt im Medium ihres Anderen, in der Materialität; Einheit zwischen freien Subjekten kommt nur vor als Eintracht, die von jedem einzelnen ihrer Partner her gefährdet bleibt; Einheit der Natur, der konkreten Wesenheit schließlich kommt nur vor in der Auflöslichkeit wirklicher Existenz. Vollkommene Einheit ist daher Einheit vollkommener Ursprünglichkeit, die sich als vollkommene Ordnung, vollkommenes Zueinander dreifaltigen Ursprungs zeigt.


  1. Vollkommenheit: Hexaemeron XI, 6-8; Ursprung: XI, 6; Ordnung: Hexaemeron XI, 7 als Andeutung mit Rückverweis auf die Ausführung in VIII, 12; unteilbare Einheit: Hexaemeron XI, 8. ↩︎

  2. So nicht nur Hexaemeron XI, 7, sondern auch Hexaemeron I, 12. ↩︎

  3. Vgl. Hexaemeron VIII, 12. ↩︎

  4. Vgl. z. B. auch Itinerarium VI, 2. ↩︎