Kirche und Wirtschaft

Vom Urmodell zu den Modellen

Dieses göttliche Urmodell hat die Kirche zu reflektieren und aus diesem Urmodell Modelle vor Augen zu stellen, wie Wirtschaft, wie Gesellschaft, wie Menschsein überhaupt geht. Solche Modelle aber können von der Kirche nur entwickelt werden im Austausch mit Menschen, die in Wirtschaft, Gesellschaft, in den betreffenden Bereichen des Lebens innestehen. Nur im gemeinsamen Sehen und Bestehen der unterschiedlichen Situationen und Lebensbereiche aus diesem provokatorischen Geist des Evangeliums lassen sich Modelle für die Menschheit entwickeln.

Das alles ist natürlich an sich immer wahr. An sich. Aber es ist heute besonders dringend. Denn die Versuchung ist größer geworden, sich auf die völlig plausible Aussage zurückzuziehen: Alles sozialistische Getue radikaler Systemveränderung zerstöre die Wirtschaft; es gelte, unsere Wirtschaft unbeirrt weiterzubetreiben. Auch die andere Versuchung ist gewachsen: Weil man heute eben für Gemeinschaft sei, solle man sich in den unaufhaltsamen Trend schicken, auch wenn man sich damit einem System ausliefere, das der Wirtschaft zum Schaden gereicht – und nicht nur der Wirtschaft.

Unser Weg muß hingegen heißen: Wir können den Menschen nur retten, wenn wir uns seine ganze Freiheit und die ganze Hypothek seines Daseins zumuten. Das aber bedeutet heute, im Kontext einer Weltgesellschaft, in Weltdimensionen denken und handeln. Wir werden nur leben, wenn wir unsere Interessen fürs Interesse am Ganzen öffnen und von innen her so mit ihm koordinieren, daß diese Interessen ineinanderschlagen. Die heutige Welt ist ein Testfall dafür, daß wir Christen das Menschliche in die Wirtschaft und in alle Bereiche des Menschseins einbringen, es neu entdecken und realisieren. Nicht als ob wir das Menschliche für uns gepachtet hätten. Aber in der provokatorischen Radikalität des Evangeliums ist uns ein einzigartiger Schlüssel fürs Menschliche und für die Menschheit überantwortet. Dies wäre eine erste Konsequenz.

Eine zweite läßt sich unmittelbar anschließen. Wir sollten immer neu versuchen, etwas wie „strukturelle Er- [15] fahrungen“ eines christlichen Wirtschaftsverhaltens zu machen. Es ist zuwenig, wenn ich mich nur privat, nur für mich allein an der Stelle, an der ich stehe, als Christ verhalte. Das soll ich auch und zuerst. Aber wir sollten darüber hinaus probieren, miteinander Erfahrungen auszutauschen, wie ein jeder von uns christlich Wirtschaft zu gestalten sucht. Wenn wir solche Erfahrungen – die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, die Schwierigkeiten des Gewissens und die Einfälle, die Erfolge und Mißerfolge – miteinander in einen lebendigen Austausch bringen, dann wächst aus den vielen privaten Erfahrungen gemeinsame Erfahrung. Damit allererst entsteht die Möglichkeit, daß – freilich nur allmählich – der Bereich Wirtschaft in Bewegung kommt, sich verändert, daß Wirtschaft in anderen Strukturen abläuft, nicht nur in christlicher Haltung geschieht. Erst so kommt in Sicht, wie Christen aus ihrem Christsein den Bereich Wirtschaft gestalten.

Diesem Ziel können wir uns nur nähern, wenn wir uns gemeinsam auf den Weg machen, uns austauschen in der Ungeschütztheit eines wirklichen Miteinander. Wenn wir damit ernstmachen, wird die Wirkung unabsehbar sein. Mein eigentliches Anliegen ist es, Sie dazu anzustoßen, Kirche zu sein über die Grenzen von Konfessionen, Parteien und Verbänden hinweg. Kirche in einem weiteren, umfassenderen Sinn, indem Sie nämlich in Ihren gemeinsamen Aufgaben den Mut aufbringen, diese aus Ihrem christlichen Gewissen miteinander zu bestehen und nicht nur als je einzelne, als einsame Konkurrenten.

Vielleicht werden Sie am Ende sagen: So Wirtschaft betreiben, ist aber ein Risiko. Ich glaube, das Risiko, Wirtschaft aus dem Geist der radikalen Nachfolge Jesu zu betreiben, könnte das unternehmerische Risiko schlechthin sein. Wirtschaft ist auch ein Spiel, Wirtschaft ist auch eine Kunst. Und Kunst und Spiel gelingen immer nur, indem ich etwas riskiere, mich riskiere, um dadurch gerade mich und die Verhältnisse zu steigern. Könnte nicht vielleicht die Seele des unternehmerischen Risikos darin bestehen, daß wir das Risiko der Liebe eingehen, jener Liebe, wie Er geliebt hat, um dann zu sehen, daß Welt und Wirtschaft zwar nicht Reich Gottes auf Erden werden, wohl aber ein Zeichen der Hoffnung – oder wie das letzte Konzil sagt – ein „Sakrament“ der Hoffnung auf das Reich Gottes und darauf, daß Menschsein auf dem Weg zu diesem Reich Gottes nicht umsonst ist.