Sprache des Glaubens. Zum Text „Von Gott sprechen“: Wie heute von Gott sprechen?

„Von Gott sprechen ist gelebtes Pascha“

Mirjam Gödeke:

Nach der ausführlichen dreischrittigen Rede vom „Wie“ des Sprechens von Gott folgt nun der vierte Satz, der das „Was“ des Sprechens von Gott in den Blick nimmt: „Von Gott sprechen ist gelebtes Pascha.“

Ich hatte mir erhofft, nun im Konkreten zu lernen, wie es denn aussehen kann, dieses Sprechen von Gott, das sich eins gemacht hat mit dem Wort im anderen, das ganz meine Sprache spricht und das Gottes Sprache gelernt hat. Doch ich blieb ernüchtert zurück.

Wo ist sie hier, die Lebendigkeit, die Leidenschaft? Ich hätte mich gern mitreißen lassen davon, doch Hemmerles Sprache bleibt nüchtern, karg und unzugänglich. Wer soll mich denn verstehen, wenn ich so von Gott spreche? Die ganz großen Bilder werden heraufbeschworen, Kreuz und Ostern, der äußerste Fall in Jesu Leben – die Spannungen aus Satz III. projizieren sich auf diesen letzten Punkt. An Dramatik spart Hemmerle gewiss nicht: es ist vom Kreuz die Rede, von Blut, Schrei und Verstummen. Doch die großen Worte klingen mir wie das, was Hemmerle zurückzulassen empfiehlt: „Mythen fallen, Begriffe werden leer.“

Um mein Unbehagen zu lindern, habe ich mir den Satz II/2 zu Herzen genommen: „Trau Dich, von IHM zu sprechen, wie Du sprichst“ und den Versuch unternommen, die Sätze unter IV neu zu formulieren. So habe ich hier zu einem Imperativ gefunden, der in Hemmerles Sätzen vielleicht mitschwingt: Die Worte, mit denen von Gott gesprochen wird, müssen geprüft und durchlebt, stärker ausgedrückt durchlitten sein – Hemmerle sagt: „mit Blut getauft“. Erst im äußersten und echten Fall der Worte, wenn sie nicht nur gesprochen, sondern gelebt werden, entfalten sie ihr volles Potential. Und erst hier kann sich ereignen, was vorher im „Wie“ angenähert wurde: „Sprechen von Gott“.

Mir scheint, als stoße Hemmerle hier selber an die Grenze, auf die er aufmerksam machen will: „Begriffe werden leer“. So zeigt er, was die Worte, die er wählt, selbst im Wortsinn nicht auszudrücken vermögen. Ich bin mir sicher, dass er sich dessen bewusst war; seine persönliche Betroffenheit, die auch biographisch naheliegt, ist hier deutlich hörbar. Dann wäre dieser Sprechversuch, der in gewisser Weise scheitern musste, eine Art Stilmittel, eine Metapher, ein Versuch, in dem alles versammelt wird, was im Ernstfall Gewicht und Bedeutung hat. Der Überschuss über das Sagbare und das aus Gesagtem Fühlbare ist und bleibt uneinholbar: „Von Gott sprechen ist [und kann im letzten nur sein] gelebtes Pascha.“

Hadwig Müller:

Als wir – Du, Mirjam, und ich – uns unseren Widerstand gegenüber diesem vierten Satz und seinen Entfaltungen eingestanden, entdeckte ich erst, dass Hemmerle hier noch einmal alle Register eines Vokabulars zieht, das zum Sprechen gehört. „Begriffe (werden leer …)“ (IV/1) „Das Wort muss mit Blut getauft sein, um von Gott zu sprechen.“ (IV/2) „Die authentische Sprache von Gott ist der Schrei und das Verstummen (…).“ (IV/3) „Ostern nimmt ins Gespräch zwischen Vater und Sohn im Geist. Sprechen von Gott spricht aus diesem Gespräch – zwischen uns.“ (IV/4) „Das Subjekt des Sprechens von Gott ist der Gekreuzigte und Auferstandene zwischen denen, die teilen, lieben, loben.“ (IV/5)

Noch einmal beschreibt Hemmerle also ein Sprechen. Aber jetzt ist es nicht mehr ein erinnerndes, begreifendes, erzählendes Sprechen, das im Überschuss über die Grenze des Sprachkanons und dem gleichzeitigen Darunterbleiben aufgebrochen wird. Jetzt, in diesem vierten Satz, geschieht das Sprechen nicht mehr in Begriffen und Worten, die, auch als unsicher gewordene, doch unsere Begriffe und Worte sind. Das Sprechen ereignet sich in Gott: als Gespräch zwischen Vater und Sohn im Geist; als Schrei des am Kreuz von Gott Verlassenen, als das mit Blut getaufte Wort, als sprechende Präsenz des Gekreuzigten und Auferstandenen zwischen „uns“, die wir von Gott zu sprechen versuchen.

Von Gott sprechen heißt jetzt: das Sprechen Gottes zulassen. Das Sprechen Gottes in seinem äußersten Weggehen aus sich selbst in die Gottverlassenheit des Sohnes. Das Sprechen Gottes im Gekreuzigten und Auferstandenen. Von Gott sprechen heißt jetzt: Sich in das Gespräch Gottes hineinnehmen lassen, das nicht in Gott bleibt, sondern zwischen uns weitergeht. Darum kann es hier keine Aufforderung mehr an ein „du“ geben. Denn es geht nicht darum, dass ich weggehe von mir selbst – und von mir selbst spreche. Es geht auch nicht darum, die Sicherheiten eines im Rahmen bleibenden Sprechens aufzugeben.

Es geht um ein Sprechen, das „gelebtes Pascha“ ist: Das sich in Sterben und Auferstehen ereignet, in Sterben und Auferstehung Jesu Christi und in unserem eigenen Sterben und Auferstehen. Dieses Sprechen ereignet sich. Es steht nicht in unserer Macht, ist an keine Bedingung geknüpft, nicht einmal an die des Glaubens – das Wort taucht überhaupt nicht auf! Es ist losgelöst von dem Sprechen, das wir von uns unbekannten Stimmen hören und uns abringen im Hören auf das eigene Herz. Es ist losgelöst von der Sprache, die wir lernen können, indem wir die Grenze des Sprachkanons als Ressource nutzen.

Dieses Sprechen, das „gelebte Pascha“, ist unhörbar. Das Sprechen des „mit Blut getauften“, in den Tod einwilligenden Wortes ist unhörbar. Das Verstummen des am Kreuz von Gott Verlassenen ist unhörbar. Das Gespräch zwischen Vater und Sohn im Geist – das sich zwischen uns ereignet – ist unhörbar. Das Sprechen von Gott durch den Gekreuzigten und Auferstandenen ist unhörbar.

Das hörbare Sprechen von Gott, das Hemmerle in den drei ersten Sätzen durch die Spannungen, in die er es hineinstellt, immer wieder als nahezu unmöglich erscheinen lässt, zielt auf das unhörbare Sprechen von Gott, das sich zwischen den Menschen ereignet, weil sie nicht nur Menschen sind, die um ein Sprechen von Gott ringen, sondern zugleich auch Menschen, die von Gott bewohnt, die in Gott sind: „Wir in Ihm, Er in uns.“ (IV/1)

So wie sich im Leben der Abstand auftut – zwischen meinem Am-Leben-sein und einer aus meiner eigenen inneren Quelle hervorfließenden Lebendigkeit – so tut sich im Sprechen der Abstand auf zwischen meinem hörbaren Sprechen und jenem Sprechen, das „gelebtes Pascha“ ist. Und so tut sich ähnlich der Abstand im Menschen auf – zwischen dem Menschen, der sich als „ich“ und „du“ erkennt, und dem in Gott wohnenden, von Gott bewohnten Menschen.

Dieser vielfache Abstand ist kostbar. Für den französischen Philosophen François Jullien ist er eine Quelle, eine Ressource des Christentums. Er ist kostbar, weil er dazu herausfordert, nicht festzuhalten an der einen Seite des Abstandes. Nicht genug daran zu haben und daran festzuhalten, dass ich atme und mein kleines Leben lebe. Nicht genug daran zu haben, dass mein Sprechen ein hörbares Suchen nach Worten ist. Nicht genug daran zu haben, dass ich diejenige bin, die „ich“ sagt in der Beziehung zu einem „du“. Der Abstand fordert mich heraus, die Wirklichkeit dieser Person, die atmet und spricht und „ich“ sagt, nicht für alles zu halten, was es gibt. Daraus kann mir ein anderes Leben erwachsen, ein Leben in Überfülle.