Geschichte des Glaubens – Geschichte des Geglaubten?

Vorrang der Herkunft – Vorrang des Einen – Vorrang des Kommenden in der Glaubensgeschichte*

Daraus folgt, und dies wäre nun der zweite Schritt, ein dreifacher Vorrang: Einmal gibt es im Überlieferungsgeschehen des Glaubens den Vorrang des gegebenen Wortes. Die Herkunft, der Ursprung ist das Maßgebliche: Glaube geschieht auf das gegebene Wort hin. Ich muß es weitergeben. Insofern bin ich in possessione den kommenden Geschlechtern gegenüber. Sie müssen mich fragen. Auch im Deuteronomium wird das Kind den Vater fragen, und es wird die Geschichte der Herkunft erzählt. Wer nach dem Ursprungswort befragt werden muß, ist der, der früher, der näher am Ursprungswort lebt: Vorrang der Frühe, Vorrang der Herkunft. Vorrang aber haben die Frühe und die Herkunft, weil hier jenes Wort sich uns gibt, das gerade die Zukunft eröffnet. Der zweite Vorrang ist der Vorrang des Einen. Es gehört in der Logik des Glaubens dazu, daß es vor diesem Wort eine Gleichzeitigkeit des Diachronischen gibt, das Bruderwerden von Vater und Sohn. Denn dieses eine Wort, von dem wir herkommen, ist Wort, das dir gilt und mir gilt, dem Überliefernden und jenem, dem überliefert wird. Wir sind vor dieser fundamentalen [227] Herkunft, die die Zukunft überhaupt ist, die sich verbindlich zuspricht, verbunden und gleichzeitig. Wir stehen nicht mehr nur in der Abhängigkeit voneinander, sondern wir stehen vor dem einen Antlitz, wir stehen als Hörende vor dem einen Wort. Es gibt im Glauben eine eigentümliche Gleichzeitigkeit über die Generationen hinweg in der Verbindlichkeit dieses Wortes. Aber ich kann auch diesen zweiten Vorrang nicht sagen ohne den dritten Vorrang, den Vorrang des Kommenden. Denn von allem Anfang an führt der Weg mich aus dem Anfang, aus der rechten Bildhälfte, in die linke Bildhälfte. Adam bricht mit Gott Vater auf. Er geht in dieselbe Richtung, er geht in die Zukunft. Und dort, wo die Kommenden sind, ist die frühere Spur. Das Glaubenkönnen der Kommenden ist das Wichtigste für meinen Glauben hier und jetzt. Wenn ich nicht dem Glauben der Kommenden den Vorrang gebe, dann gebe ich dem ursprünglichen Wort nicht den Vorrang. Der Vorrang der Kommenden, also der Vorrang der Übersetzung, der Weitergabe, der Neurezeption oder des neuwerdenden Glaubens der Kommenden ist jener Vorrang, der eigentlich in der inneren Dynamik dieses Zeitaufrisses liegt. Ich gebe die Zukunft der Zukunft weiter, wenn ich den Glauben so weitergebe, daß dabei das Hören, Antworten und Fragen der Kommenden das mir Maßgebende ist.

Diese nicht in eine lineare Logik unterzubringende, sondern vielschichtige Dreifältigkeit des Vorrangs ist entscheidend für die Glaubensgeschichte: der Vorrang des einmal gegebenen Wortes, in dem das Kommende und der Kommende sich bekunden, der Vorrang unserer Gleichzeitigkeit vor dieser gekommenen kommenden Zukunft und der Vorrang der Kommenden um dieser Zukunft willen, von dem aus mir auch das gegebene Wort geschenkt wird. Gebt mir, so muß ich zu denen sagen, die nach mir kommen, gebt mir das Wort, das im Anfang war! Ich empfange das Wort, das im Anfang war, von denen, die es von mir empfangen. Und nur wenn ich es von ihnen empfange, empfange ich es als das Wort, das im Anfang war.