Botschaft: Kirchenbau

Vorstoß zu einer profanen Sakralität*

Damit stehen wir freilich doch vor einem Dilemma: Gehört es zur Inkarnation, daß wir das Sakrale überhaupt bannen und nur das Menschliche als Zeichen des Göttlichen stehen lassen und alles andere als Verrat abtun? Oder ist es umgekehrt so, daß gerade die Inkarnation der Ansatzpunkt ist, um zu einer neuen Sakralität durchzustoßen, weil Gott Mensch geworden ist und sich mit allen menschlichen Erfahrungen identifiziert hat? Sind sie es nicht, denen wir in den großen sakralen Zeichen der Menschheit begegnen, nunmehr aber so, daß sie entzaubert und mit einer neuen Freiheit ergriffen werden, wie sie uns im Hebräerbrief entgegentritt, wo gesagt wird, daß wir uns nicht mehr dem dunklen und umwölkten Berg Sinai nahen – den wir nicht berühren können, weil da die Gegenwart Gottes waltet –, sondern daß wir jetzt in der Freiheit der Communicatio zu diesem neuen heiligen Berg hintreten dürfen (vgl. Hebr 12,18ff.)? Die Frage eindeutig lösen zu wollen, wäre zu einfach.

Ich möchte statt dessen einen Weg einschlagen, der uns Möglichkeiten gibt, den Kirchenbau auch von seiner theologischen Seite neu zu betrachten. Wir können im Neuen Testament an zwei Stellen, im 1. Korintherbrief und im 1. Petrusbrief feststellen: Hier wird eine Übertragung von sakraler Architektur auf soziale Kategorien vorgenommen. Das ist höchst bedeutsam: Im 1. Korintherbrief ist die Rede davon, daß der Tempel Gottes heilig ist; aber dieses Heilige ist kein Bauwerk, sondern der Mensch und eine menschliche Gemeinschaft (vgl. 1 Kor 6,13), inmitten einer Gemeinschaft lebt Gott wie im Herzen des einzelnen. Das Sakrale als solches, der Raum Gottes sind die Menschen, die den Herrn in sich und in ihrer Mitte tragen. Das ist die neue „profane“ Sakralität. Und entsprechend im 1. Petrusbrief (vgl. 1 Petr 2,5; Eph 2,20–22): Das Bildmaterial ist bei aller Verschiedenheit ähnlich; dort ist nämlich die Rede davon, daß wir als das Volk Gottes uns aufbauen lassen im Geiste auf dem einen Eckstein, dem einen Fundament: Jesus Christus. Auch hier wiederum also das Bild des Baues, des Tempels; aber im Klartext geht es nicht um einen Bau, sondern um die Gemeinschaft. Was hat das nun zu sagen?

Christlicher Kirchenbau ist meiner Überzeugung nach möglich, ja nötig, doch auf die Weise einer verwandelten Rückübersetzung: Rückübersetzung nicht in das, was war, sondern in das, was kommt. Weil wir die Kirche sind, deswegen gibt es Kirchen. Was wir sind, wird Bau. Denn zuerst war ein Bau da: der objektivierte, sakralisierte Raum Gottes. Er wird „profaniert“ in aller Ehrfurcht, in aller Tempelfrömmigkeit; auch Paulus geht noch in den Tempel und verehrt ihn; das ist bis zum Jahr 70 für Judenchristen kein Problem. Zuerst geschieht also eine „sanfte“ Entsakralisierung; das bislang Sakrale eines besonderen Bezirks und Baus wird in Gemeinschaft hinein transportiert: die Gemeinschaft, die wir sind. Dann aber braucht diese Gemeinschaft sogleich eine Verfassung; sie braucht einen Raum, um sich zu versammeln; und sie braucht diesen Raum in dem Maß und in der Art, wie diese Gemeinschaft jeweils in der Gesellschaft steht: zuerst im Verborgenen, latent und somit eben hineingegeben und -gelassen in die verbergende Alltäglichkeit – und dann mehr und mehr signifikant, zeichenhaft sich bekennend, die Vielen einladend und versammelnd, auch die Gesellschaft prägend und dann in einer großen Ausdrücklichkeit. Das Maß von Kirche – von gebauter Kirche – aber ist immer gelebte Kirche, Kirche als Gemeinschaft. Dies scheint mir die Lösung zu sein. Wenn wir Kirche sind, brauchen wir den Ort unseres Zusammenseins und unseres Seins beim Herrn, einen verfaßten Raum, der aus seiner Weise des Seins bei uns und aus unserer Weise des Seins bei ihm erwächst.