Ehe und Familie in einer trinitarischen Anthropologie

Vortrag von Bischof Dr. Klaus Hemmerle am 25.5.1983 im Familieninstitut Warschau

Ehe und Familie, das ist mehr als ein Spezialthema unter den vielen Themen einer christlichen Anthropologie. Die Botschaft von Ehe und Familie, die ein aus dem christlichen Glauben geborenes oder – in der anderen Richtung gelesen – vom christlichen Glauben durchformtes Denken artikuliert, ist die theoretische Synthese und der praktische Ernstfall der christlichen Antwort auf die Frage: Wer ist der Mensch? Sowohl die Affinität dieser Antwort zu allem dem, was Menschen auf der Suche nach sich selbst, nach ihrem Menschsein erfahren und gefragt haben, wie auch das Provokatorische, Andersartige des Evangeliums werden an dieser Botschaft zugleich sichtbar. Sie liegt – wir deuteten es bereits an – zugleich auf der Linie eines von sich selber, von den unmittelbaren Gegebenheiten aufsteigenden Denkens, das sich über sich selbst hinaus ins Licht des sich offenbarenden Gottes hinein öffnet, wie auf der Linie eines von Gottes Offenbarung ausgehenden Denkens, das sich in den Horizont menschlichen Lebens, Erfahrens und Denkens hinein auslegt.

Wenn wir Ehe und Familie im Kontext einer trinitarischen Anthropologie betrachten wollen, so enthält dieser Titel die Option für den letztgenannten Ansatz, für den Ansatz bei der Offenbarung. Denn woher sonst sollte die Rede von der Trinität, vom dreifaltigen Gott gerechtfertigt werden? In der Tat erscheint es mir notwendig, daß wir den großartigen Versuchen der christlichen Tradition, denkend bei einer naturalen Philosophie anzusetzen, schon gedachte Gedanken der Menschheit über sich hinaus weiterzudenken und sie ins verwandelnde Feuer christlichen Glaubens hineinzuführen, auch noch radikaler, als dies bislang geschah, den Kontrapunkt hinzugesellen müssen: Ausgang vom sich offenbarenden Gott, um aus dem Neuen und von außen Unerreichbaren seiner Liebe, die er in sich selber ist und als die er sich nach außen mitteilt, die Welt und den Menschen und die Offenbarung selbst neu zu sehen. Gerade der Ausgang von jener Liebe, [2] die Gott in sich selber ist, von der dreifaltigen Liebe also, und von ihrer ungeschuldeten und unkonstruierbaren Selbstmitteilung schließt indessen den scheinbar gegenläufigen Ansatz nicht aus, sondern ein, zerstört nicht, sondern wahrt, erhebt und erlöst alles das, was der Mensch von sich selbst her ist und was er aus sich selbst zu erfahren und zu denken vermag.

Es mag nun wie eine Inkonsequenz dem Titel gegenüber erscheinen, wenn im folgenden zunächst ein phänomenologischer Ansatz, ein Ansatz bei dem versucht wird, was die Reflexion des Menschen unmittelbar über sich selbst zur Problematik von Ehe und Familie beizusteuern hat. Der zweite Teil des Vortrages, der die Perspektive umkehrt, soll indessen dieses Vorgehen einfügen in die es umfassende, es begründende trinitarische Sicht. Die Konvergenz eines phänomenologisch ansetzenden Denkens mit dem hier postulierten trinitarischen Denken kann bei solcher Anordnung, wie ich hoffe, noch deutlicher werden.

Ich muß meinen Ausführungen zwei sozusagen entschuldigende Vorbemerkungen vorausschicken. Die erste: Um im knappen Rahmen dieses Referates den Gedanken als einen solchen vorzulegen, muß ich die vitalen Kontexte herausstreichen, die ihn eigentlich erst aus der dünnen Luft einer abstrakten Reflexion herausholen. Gerade diese Kontexte sind für mich als Bischof der Anlaß, der mir den Luxus erlaubt oder gar abfordert, einen solchen Gedanken zu entwickeln. Es fehlt in weiten Teilen nicht nur der jüngeren Generation, auch bei solchen, die guten Willens sind, das Verständnis dafür, daß Betätigung der Sexualität und Ehe von innen her zusammengehören, daß über eine intensiv empfundene Bindung an einen Partner hinaus Einheit und Dauerhaftigkeit der ehelichen Verbindung ihrem Wesen entsprechen, daß gar die doppelte Zielrichtung der Ehe auf den Partner zu und auf Nachkommenschaft zu innerlich bis in den einzelnen Akt hinein miteinander zu tun haben.

[3] Hinter solchem mangelndem Verständnis stehen nicht nur und oft nicht einmal zuerst persönlicher Egoismus, Triebverherrlichung, Ablehnung kirchlichen Amtes und seiner Lehrkompetenz. Die Grunderfahrungen mit dem eigenen Menschsein haben sich im Zuge neuzeitlichen Denkens so tiefgehend verschoben, daß der vitale und theoretische Zugang zu Grunddaten christlicher Anthropologie überlagert erscheint. Die Wiedergewinnung dieser Anthropologie erscheint als vorrangige auch pastorale Aufgabe. Sie kann im nachfolgenden nur mittelbar angegangen werden. Es geht vielmehr um den Versuch einer theoretischen Grundlegung, ohne die – das ist meine Erfahrung – die praktische Vermittlung weithin in einer Aporie mündet. Das einzige nach meinem Eindruck hiergegen stichhaltig anzuführende Argument lautet: Wo authentische christliche Erfahrungen gelebt und mitgeteilt werden, da öffnet sich auch am leichtesten der Zugang zum Verstehen. Doch dieses Gegenargument dispensiert nicht von der Mühe um die theoretische Grundlegung und wird am Ende unserer Erwägungen selbst vom Theoretischen her zu seinem genuinen Recht kommen.

Die zweite Vorbemerkung: Was ich hier ausführen will, wäre das Programm einer ganzen Serie von Vorlesungen, aus denen nur eine herauszugreifen allerdings hier wenig erbrächte. Ich mute es daher Ihnen zu, sozusagen nur die Programmpunkte, nur den Gesamtentwurf vorgestellt zu bekommen, der einerseits eindrucksvoller erscheinen könnte, als es die konkrete Ausarbeitung dann einzuholen vermöchte, der andererseits unbefriedigend bleibt, weil Thesen aufgestellt und Fragen aufgerissen werden, die hier nicht erschöpfend und verläßlich aufzuarbeiten sind.