Trinität – Die Suche nach dem Ursprung bei Klaus Hemmerle
Was bedeutet dies für unser Sein?
Ich muss mich nicht als Monade verstehen, wie es Leibniz einmal gedacht hat, also als eine in sich selbst verschlossene Person. Ich darf mich wissen als eine Person, die in die Liebe von Vater und Sohn hinein genommen ist. Wenn Descartes auf der Suche nach einer Formel für das Mensch-Sein einmal formulierte ‚cogito, ergo sum‘ – ich denke, also bin ich, darf ich mit Klaus Hemmerle weiterführend sagen ‚amor, ergo sum‘ – ich bin geliebt, also bin ich.
Weil ich geliebt bin, bin ich. Weil ich hinein genommen werde in den Raum des dreifaltigen Gottes, kann mich das Gott-Sein Gottes bis ins Innerste berühren: Alle Erfahrungen, die ich mache, alle Abgründe, in die ich versinke, alles Dunkel, das ich erleide und alle Schuld, die ich auf mich lade, werden umfangen von der Liebe Gottes, der sich mir ganz zuspricht, auch wenn ich selbst kein Wort mehr habe.
Es gilt festzuhalten: In diesem Geliebt-Werden von Vater, Sohn und Geist bin ich nicht allein für mich, sondern verbunden mit allen Menschen. Mein Sein ist nicht nur mein Sein. In meinem Sein ist mir die Beziehung zu allen Menschen von vorneherein als Möglichkeit und Potenz mitgegeben. Mein Sein wird offen zum Du und Er oder Sie, zum Ihr und zum Wir. Was zwischen dem Vater und dem Sohn geschieht, das soll die Realität zwischen uns werden, das ist das Lebensmaß unseres Miteinanders.
Daraus ergibt sich bei Klaus Hemmerle eine weitere Steigerung des Ansatzes von Descartes: ‚Amo, ergo sum‘ – ich liebe, also bin ich. Das Sein ist kein statisches Sein, sondern eine gelebte Beziehung, die grundsätzlich offen ist für jeden Menschen.
Abschließend sei noch bemerkt, dass es für Klaus Hemmerle frappierend ist, dass die unterschiedlichen Modelle von Kirche bei Matthäus, Lukas und Paulus auf dieselben elementaren Grundzüge eines trinitarischen Lebens hinaus laufen. Wie Gott selbst Sich-Geben, Sich-Empfangen, Sich-Verschenken ist, können Menschen in der Gemeinde so leben, dass sie wechselseitig sich geben, sich empfangen und sich verschenken. Das Sein wird dynamisch und entfaltet seine Kraft.
Dies verdeutlicht ein weiteres Originalzitat von Klaus Hemmerle:
Leben im Raum des Ja zwischen Vater und Sohn1
Ich: Wo bin ich? Wenn ich an diese Liebe Gottes glaube, obwohl ich vieles in meinem Leben nicht verstehe; wenn ich mich auf jenen innersten, oft verborgenen und verschütteten, gestörten Grund besinne, in dem ich sagen kann:
Ich übernehme mich,
ich empfange mich,
ich glaube an den Ruf,
der mich ins Dasein hebt, der mich begleitet und mich nicht mehr verlässt;
wenn ich schließlich mein Leben als ein Gerufensein verstehe,
nicht als ein ‚Ich kann machen, was ich will!‘ oder
‚Ich bin dazu verdammt, der zu sein, der ich bin!‘,
sondern als ein ‚Ich bin gerufen. Ich bin ins Sein erwählt!‘:
dann lebe ich so, wie der Sohn mit dem Vater lebt.
Dann lebe ich die Erfahrung dessen mit, der in der Taufe im Jordan und auf dem Berg Tabor hört: ‚Das ist mein geliebter Sohn‘ (Mt 3,17; 17,5) Und wenn ich dann mit ihm ‚Ja‘ sage, dann sage ich nicht nur ‚Ja‘ zu einer aktuellen Verpflichtung – das gehört dazu –, sondern ich spreche mit Jesus, vertrauend – und nicht resignativ –, aber entschlossen und bereit: ‚Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.‘ (Mt 26,39) Er hat dieses Ja mit seinem Leben und Sterben gesprochen und es so mitgebracht in diese Welt. Genau das ist der Ursprung, aus dem Er stammt.
Sein Leben ist von Anfang an Antwort, ist von Anfang an ‚Ja‘. In ihm fallen Ursprung-Sein und Antwort-Sein absolut zusammen. Er ist gefragt worden, ob er Mensch werden will. Und er hat gesagt: ‚Ja, ich komme, um deinen Willen zu tun.‘ (Hebr 10,9). _So sind wir von Anfang an hinein genommen in diese Wirklichkeit der Beziehung zwischen Sohn und Vater. Dieses Ja zwischen Vater und Sohn ist der Raum, in dem auch wir bejaht, gemeint, ermöglicht, geschaffen und erlöst sind._ Das Ja zwischen Vater und Sohn gründet und umschließt in Freiheit mich und alle und alles.
Hier begegnet uns ein anderer Gott.
Ein anderer Gott als jener, der einsam an der Spitze steht und bloß
Befehle und Gunsterweise austeilt.
Ein anderer Gott als jener, der jenseits der Kreuzlinie aller Erfahrungen
liegt, der nirgendwo fassbar ist und von dem wir nichts Genaues wissen.
Ein anderer Gott als jener, der letztlich nur als eine erklärende und
rechtfertigende Formel dient für alles, was geschieht.
Ein anderer Gott freilich auch als jener, der als der je Größere geachtet
wird, aber in seiner Unsäglichkeit eingeschlossen bleibt.
Welch ein anderer Gott!
Ein Gott, der mich ganz umfängt.
Mein ‚Ich glaube an die Liebe‘ und mein ‚Da bin ich! Ich bin bereit! Er liebt mich!‘ sind eingebettet und eingelassen, ermöglicht und begründet in dem Verhältnis von Vater und Sohn. Dieser lässt solches ewige Geheimnis aufstrahlen in seinem Menschsein, in seinem Beten zum Vater und Ringen mit dem Vater.
Wenn wir diese neue Weise des Lebens und Denkens lernen, wird alles anders und neu.
-
Hemmerle, Klaus: Leben aus der Einheit, 35 ff. ↩︎