Trinität – Die Suche nach dem Ursprung bei Klaus Hemmerle

Was bedeutet dies für unser Denken?

Klaus Hemmerle fasst das ‚Ich denke‘ von Descartes noch weiter. Er setzt beim Königsberger Philosophen Immanuel Kant an. Dieser schreibt in der ‚Kritik der reinen Vernunft‘, die Klaus Hemmerle bereits mit 15 Jahren gelesen hat: „Das ‚Ich denke‘ muss alle meine Vorstellungen begleiten können (...) Ich nenne sie die (...) ursprüngliche Apperzeption, weil sie dasjenige Selbstbewusstsein ist, das, indem es die Vorstellung ‚ich denke‘ hervorbringt, (...) von keiner weiter begleitet werden kann.“

Diesen Satz interpretiert Klaus Hemmerle folgendermaßen: „Kant sagt also, alle Vorstellung muss begleitet werden können vom ‚Ich denke‘. Das, was mir widerfährt, kann nur in mich eindringen, kann nur in mir Folgen haben, kann nur Gestalt und Gedanke werden und kann nur Erkenntnis werden, wenn ich es mit der Vorstellung ‚ich denke‘ begleiten kann. (...) Aber ist das ‚Ich denke‘ alles? Ist es nur das ‚Ich denke‘, das alles begleiten können muss?“

Klaus Hemmerle stellt sich die Frage: Was geschieht mit mir, wenn ich, ausgehend von der Frage nach der Einheit, Rechenschaft gebe über mein ‚Ich denke‘? Ihm geht auf, dass sein ‚Ich denke‘ von vier Koordinaten bestimmt ist.

  • Denken ist Andenken: Wenn wir denken, denken wir mit, dass wir uns selbst zugesprochen sind: „Ich bin nicht irgendein Ich, das nur vom Nullpunkt ausgeht, sondern ich bin mir gegeben, ich bin mir zugedacht, und ich bin gerufen. Als Christ kann ich sagen: Ich bin geliebt. Ich bin, wenn ich denke, und ich denke, wenn ich andenke, an das, an den, der mich ins Sein ruft. Mein ‚Ich denke‘ ist begleitet von diesem Ja zu mir, an das ich andenke.“

  • Denken ist Gedenken: Wenn ich denke, denke ich immer gleichzeitig auch an meine Verantwortung: „Indem ich das Wort annehme, in dem ich mir zugeworfen und zugerufen bin, ist mein Denken nicht nur eine formale Sache, sondern Verantwortung vor dem, der mich mir zugerufen hat; ich glaube an die Liebe, die mich mir gegeben hat. Mein ‚Ich denke‘ ist begleitet vom Gedenken der Verantwortung dem Willen Gottes gegenüber.“

  • Denken ist Zudenken: Wenn ich denke, dann habe ich notwendigerweise den andern mit im Blick: „Mein Denken und mein Sprechen hat etwas zu tun mit dem anderen, wie der andere ist, wie das Du ist, dem ich zudenke. (...) Indem ich denke, denke ich dem anderen, der ist wie ich, das Ja zu, das mein ‚Ich denke‘ als Andenken und Gedenken begleitet.“

  • Denken ist Mitdenken: Wenn ich denke, habe ich darüber hinaus die Gemeinschaft und das Wir im Blick: „Ich denke nicht nur dem andern zu und den anderen zu, sondern im Denken ist etwas wie ein Einverständnis. Im Denken ist etwas wie ein Wort, das uns verbindet und uns je gemeinsam ist. (...) Da ist wirklich dasselbe Licht in dir und in mir. Da ist wirklich etwas da, das auf die eine und selbe Mitte dieses Wir zugeht. Das ist dieses Einssein, dieses Das-eine-Wort-Haben, auf dass es in unserer Mitte lebe.“

Klaus Hemmerle zieht aus diesem Denkmodell praktische Konsequenzen:

Die vier christlichen Sätze der Einheit als Lebensstil1

 (...) Andenken, Gedenken, Zudenken und Mitdenken. Ich komme zurück auf die Bitte, die ich zu Beginn formuliert habe: Nur wenn wir uns einander im eigenen Denken und im eigenen Leben aussetzen, wird ein Weg möglich zu einem anderen Umgangs- und Lebensstil. Ich möchte dieser Bitte nun vier christliche Sätze hinzufügen, die von Jesus Christus her etwas fundamental Humanes aussagen:
  • Schneiden wir unser Denken und Leben nicht ab von dem, der uns geliebt hat und an dessen Liebe wir glauben – Andenken.
  • Schneiden wir uns in unserem Denken und Leben nicht ab von der Verantwortung, den Willen Gottes zu erkennen – Gedenken.
  • Denken und leben wir immer im Angesicht des Du, und schneiden wir uns nicht ab von dem Du, das ist wie ich und das ich darum liebe, wie mich selbst – Zudenken.
  • Und – letzter Satz – schneiden wir uns nicht ab von jenem Wir, damit das eine Wort in unserer Mitte leben kann, damit Er zwischen uns ist und wir eins sind – Mitdenken.

    Einheit als Lebensstil heißt nichts anderes, als diese vier christlichen Sätze so zu inhalieren, so hinein zu nehmen ins Eigene, dass unser ‚Ich denke‘ von ihnen begleitet wird. Wenn unser Denken und Leben sich so erweitert, dann haben wir eine Grundlage, wie Kirche heute und wie Menschsein heute in der einen Welt gehen. Vielleicht stehen wir wirklich am Anfang, so dass uns die Botschaft vom dreifaltigen Gott etwas ganz Neues zu sagen hat. Vielleicht stimmen wir uns (...) ein auf einen trinitarischen Lebensstil, auf ein Leben im Raum der Dreifaltigkeit, damit in unserer Welt so etwas beginnt wie Leben aus der Einheit.


  1. Hemmerle, Klaus: Leben aus der Einheit, 27 ff. ↩︎