Einheit als Leitmotiv in „Lumen Gentium“ und im Gesamt des II. Vatikanums
Was für Einheit, wessen Einheit?
Wir sprechen von Einheit. Die Einheit der Kirche, die Einheit der Menschheit, der eine Christus, die Einheit des dreifaltigen Gottes, Einheit als Lebens- und Dienstform aufgrund verschiedener Berufungen und Aufgaben in der Kirche, Einheit und Pluralität, Einheit als Verhältnisbestimmung zwi-[216]schen Prinzipien – dies alles ist bislang zur Sprache gekommen. Geht das auf einen einzigen Nenner? Haben wir dabei nicht vergessen, daß Einheit als transzendentale Bestimmung des Seienden teilhat am analogen Charakter der Rede vom Sein?1
Wir haben diesen analogen Charakter der Rede vom Sein und darum auch von der Einheit nicht vergessen, und wir heben auch gerade nicht darauf ab, ein System der Einheit zu entwerfen. Dennoch – bei aller Unterschiedlichkeit der Aussagbarkeit von Sein und Einheit in den verschiedenen Dimensionen und Situationen, die bereits zur Sprache kamen – zeigt sich so etwas wie ein gemeinsamer Unterschied konziliaren Sprechens von der Einheit gegenüber der früheren Sicht. Damit ist keine einzige der verbindlichen theologischen Aussagen über die Einheit Gottes oder der Kirche oder der Offenbarung in Frage gezogen, im Gegenteil. Wohl aber wird es notwendig, um der Wahrung der Identität verbindlicher Überlieferung willen den „Übergang“ mitzuvollziehen, der sich in der Konzilstheologie insgesamt anzeigt. Es ist ein Übergang des Seinsverständnisses, der sich nicht auf wenige Worte und Formeln bringen läßt, der vielleicht aber gerade daran ein Stückchen konkreter und verständlicher werden kann, daß wir uns an der Weise orientieren, wie neu und anders von der Einheit geredet wird. Neu und anders –will sagen mit neuen Akzenten, mit neuen Betonungen oder unter neuen Blickwinkeln, so daß bislang Selbstverständliches, vielleicht als Selbstverständliches Vernachlässigtes neues Gewicht erlangt oder Fragestellungen und Lösungsmöglichkeiten auftauchen, die bislang einfach nicht in den Blick haben kommen können. Wenn ich eine neue Seite oder Sicht einer Sache entdecke, so erkenne ich diese, ohne daß das bislang Erkannte dadurch irrelevant oder gar falsch würde.
Gerade um diese neue Sicht von Einheit ernst zu nehmen, bleiben wir im folgenden in jener vielleicht bedenklich erscheinenden Abstraktion, die nun nicht durchstößt bis zu der je unterschiedlichen Applikation des Gedankens in unterschiedlichen Feldern und Fällen. Wir fragen einfach: Wie geht Einheit, Einheit im Ausgang vom sich mitteilenden Gott durch die Kirche und in der Kirche in die Welt hinein und aus der Welt und der Menschheit auf diesen Gott zu und auf die Kirche und ihr Zeugnis und ihren Dienst zu –und wie geht Einheit zwischen dir und mir, im Miteinander der Glaubenden um des Glaubens willen, in welchem Miteinander sich Gemeinschaft, Mitsein der Menschen überhaupt, nach christlichem Selbstverständnis wiederfinden, spiegeln, verdichten, erfüllen soll?
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Vgl. ebd. 382. ↩︎