Das Konzept der Gemeinsamen Synode
Was ist das Konzept der gemeinsamen Synode?
Immer wieder wird kritisch vermerkt, daß es bislang noch keine deutliche „Theologie“, kein klar erkennbares Grundkonzept der kommenden Synode gebe. Man habe eine große Sache geplant, man habe für sie die rechtlichen und organisatorischen Geleise gelegt, aber wohin die Reise geht, ja gehen soll, das sei noch keineswegs präzisiert. Vielleicht ist aber gerade dies das Konzept der Synode. Wäre ihr schon vorher vorgeschrieben, wie sie theologisch ansetzen solle, läge eine Theologie der Synode schon jetzt auf dem Tisch, dann wäre sie nicht mehr das freie, offen fragende, nur durch das, was wesenhaft zur Kirche und zum Glauben gehört, gebundene Gespräch. Gespräch, das sie doch leisten, ja das sie sein soll.
In dem Plan eines solchen Gesprächs und in der Offenheit, die für es besteht – die selbstverständlich immer mögliche Kritik an der oder jener Einzelbestimmung sollte uns nicht blockieren, diese Offenheit wahr- und ernst zu nehmen –, sind dennoch Grundlinien dessen vorgezeichnet, was man ein Konzept der Synode nennen könnte. Es sei versucht, mit drei Stichworten dieses Konzept zu bezeichnen.
Das erste Stichwort heißt „Übersetzung“. Wenn das Wort Fleisch geworden ist, wenn Gott in Jesus Christus sich ein für allemal in die Menschheit und ihre Geschichte hineinbegeben hat, so hat er damit nicht zu einem abstrakten, sondern zum konkreten Menschen ja gesagt. Dieser Mensch lebt aber immer in anderen, nicht vorher ableitbaren geschichtlichen Bedingungen. Sein Verstehen, seine Sicht der Welt, aber auch seine Gestaltung des individuellen und gemeinschaftlichen Lebens verschieben sich andauernd. In diese neuen Lebens- und Verständnisbedingungen muß das Wort, das ein für allemal in Jesus Christus gegebene und gekommene Wort aber immer neu übersetzt werden. Zur Übersetzung gehört zweierlei. Es gehört einmal dazu, daß die Sprache gesprochen wird, welche die verstehen, denen das Wort gilt, ihre Sprache. Es gehört aber auch dazu, daß nicht irgendetwas in dieser Sprache erzählt und angeboten wird, sondern der ganze, der unverkürzte Urtext. Diese Spannung ist das Wesen der Übersetzung: ganz Sprache der Angesprochenen, ganz Wort des Urtextes. Solchem Drängen und Bewahren, solcher Neuheit und Selbigkeit des Glaubens und der Kirche ist die Synode verpflichtet. Es geht dabei nicht nur um die Übersetzung dessen, was die Kirche sagt, sondern auch um die Übersetzung dessen, was sie ist. Kirche ist selbst die nicht nur ins Denken, sondern ins Leben, in die Gesellschaftlichkeit und Menschlichkeit des Menschen hinein geschehende Übersetzung des Wortes Gottes, dem sie sich verdankt, das in ihr lebt, das ihr Leben ist.
Als zweites Stichwort kann gelten: „Gespräch aller Charismen miteinander“. Die Kirche ist von Jesus Christus her verfaßt durch die apostolische Sendung und ihre Fortsetzung. Die Kirche erschöpft sich aber nicht darin, daß sie solchermaßen verfaßt ist. Der Geist Jesu gibt sich ihr in vielen Gaben, sie alle – auch die unscheinbaren und verborgenen – sind den einzelnen für das Leben der Kirche gegeben und sollen daher im Leben der Kirche zur Geltung kommen. Nur wenn diese Gaben aber unter das Gesetz Christi treten, unter das Gesetz des Weizenkorns, das sich nicht konserviert, sondern weggibt und durch sein Sterben Frucht bringt, können die Gaben Gottes das Leben Gottes, das Leben des gekreuzigten und auferstandenen Jesus der Kirche mitteilen und der Welt bezeugen. Dies gilt für alle Gaben, das geistliche Amt, in welchem die apostolische Sendung sich fortsetzt, nicht ausgeschlossen. Dieses Amt darf seine Sendung nie verraten, es ist mehr als das Produkt einer Mehrheitsmeinung oder das Vollzugsorgan eines allgemeinen Willens. Aber auch die anderen Gaben sind mehr als Produkte und Verlängerungen des Amtes. Alle Gaben sind einander zugeordnet, aber nicht auseinander ableitbar. Sie bedürfen eines Gesprächs, in welchem sie aufeinander hören, eines Gesprächs, in welchem sie ihre je eigene Funktion ausüben, einander zumuten, einander aber zumuten in der Liebe, welche die andere Gabe nicht weniger ernst nimmt als sich selbst. Dieses Gespräch erfordert geradezu, daß das Amt nicht nur als „Diskussionsteilnehmer“ an ihm beteiligt sei, sondern in seiner Funktion der Leitung, und es erfordert umgekehrt, daß die anderen Gaben sich dem Dienst an der Einheit aller, der dem Amt aufgetragen ist, einfügen. Aber die Fruchtbarkeit dieses Gespräches wird nicht davon abhängen, wie wenig die einzelnen Gaben nur auf die Grenzen von eigenen Rechten und Pflichten achten, sondern wie tief sie sich im Vollzug zueinander hin überschreiten, aneinander verschenken. So wird die Synode zum verfaßten Gespräch aller mit allen, an welchem das Amt als Amt, an welchem die anderen Gaben in ihrer eigenen Funktion und mit ihrem eigenen Rang teilnehmen. In diesem Gespräch sollen alle ihren Teil zu der verantwortlichen Gestaltung des weiteren Weges der Kirche in unserem Land beitragen.
[18] Ein drittes Stichwort, welches für das Konzept der Synode entscheidend ist, könnte lauten: „Unterscheidung des Christlichen“. Es wäre sinnlos, eine Synode mit Fragen zu befassen, die entweder durch einen Forschungsauftrag oder durch eine Unternehmungsberatung zu leisten wären. Es geht darum, wie die Gemeinschaft des Glaubens, welche die Kirche ist, in den konkreten Fragen und Aufgaben der Stunde Lösungen findet, die zwar zweifellos rationell, sachgerecht, angepaßt sind, die aber doch in keinem Fall nur dieses sind, sondern die immer zugleich aus dem Glauben, aus dem heraus verantwortet werden, was uns als Kirche zusammenbindet. Das gilt nicht nur für Fragen der Verkündigung oder der Sakramente, für Fragen, die unmittelbar mit dem spezifischen Glaubensinhalt zu tun haben. Es muß auch gelten für die Fragen des Einsatzes in der Welt und in der Gesellschaft, sofern sie auf der Synode zur Sprache kommen. Wie sieht hier das unserer Stunde gemäße christliche Zeugnis aus? Dabei geht es keineswegs nur darum, sich von außerkirchlichen und außerchristlichen Initiativen „abzusetzen“; doch auch in der oftmals gebotenen Solidarität mit ihnen muß sich der Auftrag Christi und die Orientierung an Christus bewähren. Nicht zuletzt gilt gerade das aber auch für jene pastoralen Fragen, die heute manchmal Gefahr laufen, in isolierter Sachlichkeit gesehen zu werden. So verfehlt es wäre, bei Pastoralstrukturen sich nicht wirklichen Gegebenheiten der Gesellschaft anzuschließen, so wichtig es ist, auch die Kommunikations- und Kooperationsstrukturen innerhalb der Kirche den Möglichkeiten und Erfordernissen der gesellschaftlichen Entwicklung anzupassen, eine bloß „klappende“, funktionierende Kirche mit lauter rationell durchkonstruierten Apparaten und Gremien wäre nicht schon lebendige Kirche Christi. Und christliche Spiritualität ist da nichts nur Zusätzliches, nichts nur nebendran, sondern sie muß sich inkarnieren, sie muß sich bezeugen in der Weise, wie die Strukturen und Organe kirchlichen Lebens angelegt sind. Inkarnation besagt bestimmt das Ja Gottes zur welthaften Wirklichkeit, wie sie ist; sie besagt aber auch unser Ja dazu, daß Gott selbst, der die Liebe ist, sich mit unserer welthaften Wirklichkeit eingelassen hat. Und wo wir ihn draußen ließen, wo wir seine Liebe und seinen Geist draußen ließen aus der Konstruktion und Organisation kirchlichen Lebens und seiner Äußerungen, da wäre das ein Verrat. Die Synode steht also vor der Frage: Wie kann das, was zu regeln, zu planen und zu entwickeln ist in der Kirche vom Glauben an Jesus Christus und von der Liebe zu ihm und in ihm her geregelt, geplant und entwickelt werden?
Das mit den drei genannten Worten grob skizzierte Grundkonzept von Synode muß sich auch in die Gestalt hinein umsetzen, wie die Synode praktisch angelegt ist. Synode dient der „Übersetzung“. Der Urtext des Glaubens muß durch den Dienst des kirchlichen Lehramtes, durch den anderen Dienst der Theologie, aber auch durch das wache und lebendige Glaubensbewußtsein aller in der Synode überall gegenwärtig werden. Seine Gegenwart muß sich aber verschränken mit der Gegenwart der wirklichen Situation des Menschen, der Welt und der Gesellschaft. Die praktische und wissenschaftliche Kenntnis der Zeit und ihrer Zeichen muß in den Beratungen der Synode ebenfalls sichergestellt sein.
Das Gespräch aller Gaben, Dienste und Charismen in der Kirche kann in der Synode dann am überzeugendsten geschehen, wenn sie auch in ihrer Zusammensetzung das Gesamt der Kirche in unserem Lande repräsentiert. Hierbei bedeutet Repräsentativität freilich etwas anderes als numerische Spiegelung des Gesamt der Mitglieder der Kirche, ihrer Schichtungen, Gruppierungen und Meinungen. Repräsentativität in der Kirche erfordert vielmehr ein Dreifaches: Einmal gehören zur Synode jene, die durch ihren besonderen Dienst der Leitung und Einung für die Kirche im ganzen stehen, in ihrem Namen sprechen, die Bischöfe, in welchen sich die apostolische Sendung ins Jetzt der Kirche hinein lebendig fortsetzt. Es gehört zur Synode sinngemäß aber auch, daß die Meinung aller vertreten wird, die in den Bistümern leben. Dieser Vertretung dienen die aus den Diözesen gewählten Synodalen. Sie müssen gewiß frei, an ihrem eigenen Gewissen orientiert, ihr Mandat wahrnehmen, doch die Wahl aus Diözesanräten, die durch die vielartigen Wahlvorschläge sich auf die „Basis“ stützen kann, gibt ihnen personal die Verklammerung mit dem Gesamt des Kirchenvolkes. Daß hier eine Urwahl der Synodalen direkt eine bessere Vertretung aller garantiert hätte, dürfte deutlich genug eine Fehleinschätzung sein. Wenn sehr viele nur sehr wenige zu wählen haben, so ist die Kenntnis des Gewählten geringer als dort, wo vermittelnde Instanzen mit einem naturgemäß größeren Überblick dazwischentreten. Wo es nicht wie bei unserem Staat – im übrigen durch die Parteien und nicht durch die Wähler zustande gekommene – Kandidatenlisten verschiedener Parteien gibt, droht eine Urwahl in ihrem Ergebnis die Positionen zu nivellieren. Doch Repräsentativität in der Kirche umfaßt im Blick auf die Synode noch [19] ein weiteres Element. Nicht nur das bischöfliche Amt und nicht nur die Gläubigen in ihrer Gesamtheit, die alle durch Taufe und Firmung die fundamental gleiche Würde des Christen besitzen, sind hier unauslaßbare Faktoren; zur Kirche gehört die Pluralität der vielen Gaben und Dienste, der vielerlei Funktionen hinzu, die einander nicht einfachhin ersetzen können. Gerade bei der Wahl aus den Diözesen nicht genügend zum Zuge gekommene Gesichtspunkte – kirchliche und gesellschaftliche Gruppen, Funktionen, Meinungen, auch im Blick auf überdiözesane Aufgaben – sollen durch die Zuwahl von Synodalen durch das Zentralkomitee und die Zuberufung durch die Bischofskonferenz bei der Synode zum Zuge kommen.
Wenn hier auch nicht auf das Statut der Synode eingegangen werden kann, so ist doch der Verweis darauf am Platz, daß die Regelung bezüglich der Beschlußfassung der Synode dem Miteinander eines verantwortlichen Gespräches aller in der Kirche gerecht zu werden versucht. Die bischöfliche Vollmacht soll durchaus gewahrt werden, doch in einer solchen Weise, daß sie nicht „nachträglich“ zum Gespräch der Synode, sondern in diesem Gespräch den Ort ihrer Äußerung und Wirkung hat und hierdurch Gesprächsbeitrag und Meinung aller an jedem Entschluß der Synode konstitutiv mitzuwirken vermögen.
Was die „Unterscheidung des Christlichen“ angeht, so kann diese Forderung – wie auch letztlich das Gelingen des Gespräches und der Übersetzung – freilich nicht durch äußere, strukturelle Regelungen gesichert werden, hier ist der Synode selbst und allen, besser: uns allen, von denen die Synode abhängt, eine durch keine bloße Struktur abzunehmende Aufgabe gestellt.