Christus nachgehen

Was macht den Glauben fremd und schwierig?

a) Glaube übersteigt die Erfahrung. – Der Gott, der sich in Jesus Christus anbietet, ist der je größere Gott, jener, der sich nicht in den Begriffen menschlicher Erfahrung erschöpft. Sowohl die wissenschaft- [22] liche Vor-Prägung unseres Welt- und Wirklichkeitsverständnisses, das auf Experiment, Verifizierung, Empirie angelegt ist, als auch der wissenschaftskritische Zug im heutigen Bewußtsein, der auf lebendige Unmittelbarkeit angelegt ist, stehen dem Glauben an einen transzendenten Gott entgegen. Auch das Heil, das uns die christliche Verheißung erhoffen läßt, übersteigt den Erfahrungshorizont. Es ist ein Heil, das sich nicht innerhalb der Geschichte vollenden läßt. Es ist transzendent – und scheint darum weit weg von jungen Menschen. Sakramentales Wirken und amtliche Vollmacht in der Kirche verweisen ebenfalls auf einen der unmittelbaren Erfahrung entzogenen Grund und rücken so dem jungen Menschen „fern“. b) Der absolute und folglich exklusive Anspruch der christlichen Botschaft erweckt leicht im jungen Menschen den Verdacht der Ideologie oder der fanatischen Selbstbehauptung des Christentums. – Eine Welt, in welcher viele Überzeugungen miteinander leben müssen, die Durchlässigkeit vieler Kulturen und Weltanschauungen füreinander und die notwendige Toleranz zwischen ihnen, der neue Sinn für Werte und Wahrheiten in der Überzeugung anderer stehen dem Ja zu Jesus Christus als dem einen und universalen Heilsmittler und zu seiner Kirche als der einen und universalen Heilsgemeinschaft entge- [23] gen. Schlechte Erfahrungen mit den Ideologien autoritärer Systeme bringen das Christentum für viele in Ideologieverdacht. c) Dogma, verbindliche Norm, Institution Kirche stehen in scharfer Spannung zur gängigen Vorstellung der jungen Generation von Freiheit. – Inmitten der technischen Welt wird der junge Mensch genötigt, immer mehr vorgenormte Verhaltensmuster zu übernehmen – trotz gesteigerter formaler Freiheit. Oft genug erfährt er das Mitlebenmüssen und Mitfunktionierenmüssen im Apparat von Produktion, Leistung, Konsum und vielfältiger sozialer Verflechtung als Zwang. Um so empfindlicher reagiert er gegen alle Normierung und Institution im Bereich des Privaten und Personalen. Dogma, moralische Norm, Institution Kirche scheinen gerade seinen persönlichen Freiheitsraum zu besetzen und ihm so die letzte Insel seiner Freiheit zu rauben.

d) Christlicher Glaube ist begründet in einem geschichtlichen Faktum vor 2000 Jahren und vermittelt durch geschichtliche Tradition. Darum stößt er weithin auf Unverständnis und Desinteresse bei der jungen Generation. – Der Zwang des Produzierenmüssens, die Not um die Zukunft lassen – trotz nostalgischer und romantischer Züge – den Sinn für die Geschichte zurücktreten. Diese wird zumindest nicht als Quelle anerkannt, aus der wir leben können.

[24] e) Die Grenzerfahrungen menschlichen Daseins, zumal Schuld und Tod, spielen im Lebensgefühl der jungen Generation eine andere Rolle als im Christentum. – Man möchte alle Kräfte einsetzen, um aktiv das Negative zu überwinden – Heilsbedeutung von Leiden und Sterben erscheinen als problematisch. Auch steht die christliche Botschaft vom erlösenden Kreuz Christi unter dem Verdacht, das Schreckliche zu verharmlosen, die Absurdität des Daseins zu überspielen.

f) Die konkrete Gestalt von Christentum und Kirche erscheint vielen jungen Menschen als unglaubwürdig. – Warum haben 2000 Jahre Christentum die christlichen Grundwerte nicht besser in der Menschheit zum Zuge gebracht? Warum gibt es in der Kirche nicht weniger, sondern scheinbar mehr an Ungleichheit, an Herrschaft von Menschen über Menschen? Warum ist Kirche so wenig transparent auf den Herrn hin, den sie vertritt? Erzieht der Anspruch der christlichen Botschaft nicht zur Unehrlichkeit, die es verdrängt, daß man ihm nicht gerecht wird?