Glauben – wie geht das?

Wege zum Kreuz

Das Kreuz ist Mittel- und Zielpunkt, der die Botschaft eint. Gerade so ist verständlich, daß es sich in vielen Perspektiven zeigt und daß viele Wege auf es zulaufen.

Weg der kommenden Gottesherrschaft

In großer Bereitschaft sind die Jünger gefolgt, als der Herr sie rief. Sie haben nicht nach dem und jenem gefragt, aber sie haben sich natürlich ihre Hoffnungen gemacht. Aus Petrus, der von seinem eigenen Boot weggelaufen ist und nun sozusagen schon mit Jesus „in einem Boot sitzt“, bricht es hervor: „Du weißt, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was werden wir dafür bekommen?“ (Mt 19,27). Jakobus und Johannes interessieren sich für die Plätze zur Rechten und Linken des Meisters im heraufkommenden Reich (vgl. Mk 10,35–40). Dies und vieles mehr deutet auf die Einstellung: „Jesus, du hast das Reich angesagt, deine Rede zeigt, daß sie in Vollmacht geschieht, deine Wunder beglaubigen es. Was nun?“ Es widerspricht jedenfalls jeglicher Erwartung und Vermutung, daß auf diesen Anfang und seine Verheißung das Kreuz kommt. Es wird zum Anstoß schlechthin, zur scheinbaren Widerlegung des Anspruchs Jesu.

Die neutestamentliche Botschaft stellt aber das Kreuz heraus als [75] den Weg, auf dem sich der Plan Gottes durchsetzt und erfüllt, auf dem seine Herrschaft wahrhaft herankommt. Sich aufs Kreuz einstellen heißt, sich auf die andere Logik Gottes einstellen. Das ist Inhalt der Antworten, die Jesus dem Unverständnis der Seinen für seine Leidensansage entgegenhält: Ihr solltet begreifen, so und nicht anders erfüllt sich, was ich euch von Anfang an sagte, so und nicht anders kommt Gottes Herrschaft.

Der Kreuzestod Jesu hat freilich mit seiner Verwerfung durch die Repräsentanten Israels zu tun. Da sie ihn nicht erkannten und nicht anerkannten, ging Jesus ans Kreuz – aber im Kreuz ist Gottes Herrschaft bei uns angekommen, ist Gottes neue Zeit in unsere Zeit hinein durchgebrochen. Alle weiteren Deutungen und Theologien des Kreuzes liegen in dieser „Bandbreite“ eingeschlossen: Kreuz als der Weg, auf dem Gott seine Herrschaft und somit das Heil der Menschen heraufführt.

Damit ist das Kreuz auch unerläßlicher Weg des Glaubens. Nur der glaubt an die in Jesus angesagte Herrschaft Gottes, der sie sich durchs Kreuz hindurch schenken läßt. Sie sich schenken lassen, das fordert aber ebenso – nach der Auskunft aller Schichten des Neuen Testamentes –, daß der Glaubende den Weg des Kreuzes mit Jesus als seinen eigenen Weg mitgeht.

Weg Jesu in die Erniedrigung und in die Verherrlichung

Das Kreuz ist Weg Gottes. Das Kreuz ist aber unmittelbar und zunächst Weg Jesu. Er wird für seine Botschaft und seinen Anspruch ans Kreuz geschlagen, in Treue zu seiner Sendung handelt er es sich ein, den Weg des Kreuzes bis zum bitteren Ende gehen und am Kreuz sterben zu müssen. An ihm bestätigt sich aber auch, daß der Kreuzweg wahrhaft der Weg Gottes ist, der Weg seiner Mächtigkeit: Er, der in den Tod Ausgelieferte, ist der von den Toten Erweckte, Verherrlichte, Erhöhte, er ist der Herr. Jesus ist nicht nur Werk- [76] zeug des Vaters, sondern in ihm ist der Vater da, der Vater ist der Inhalt seines Lebens. Gottesherrschaft kommt nicht blindlings über uns – und Jesus wäre der für ihre Ansage „gebrauchte“ Bote. Sondern Jesus ist das Kommen der Gottesherrschaft. So kann auch das Kreuz nicht nur Geschick sein, das über Jesus hereinbricht, sondern in all seiner Befremdlichkeit gehört es in die Beziehung Jesu zum Vater. In der Sprache des Neuen Testamentes: Jesus unterwirft sich diesem Willen des Vaters, er trinkt den Kelch, den er ihm zumutet (vgl. Mk 10,38f.; Mt 26,39; Mk 14,36; Lk 22,42; Joh 18,11). Die Passion hebt in allen vier Evangelien unter diesem Vorzeichen an, und in den drei ersten wird ausdrücklich die leidvoll und demütig gehorsame Auslieferung an den fremden Willen des Vaters uns vor Augen gestellt. Jesus ist der Gehorsame (vgl. Phil 2,8; Hebr 5,8). Jenes Dienen, als das in den Evangelien Jesu Leiden gedeutet wird (Lk 22,24–30; Joh 13,1–20; Mk 10,41–45; Mt 20,24–28), ist zwar Dienst für die Menschen, aber es ist Dienst aus dem Gehorsam gegenüber Gott. Die Verbindung mit den Aussagen über den Gottesknecht bei Deuterojesaia (bes. Jes 53) unterstreicht diesen Gehorsam gegenüber Gott.

Das Schicksal des alttestamentlichen Frommen und der Propheten verdichtet und steigert sich im Leiden Jesu: Er muß dieses Leiden auskosten bis zum Ende, er wird nicht vor dem Tod, sondern aus dem Tod errettet, den er in aller Abgründigkeit und Verlassenheit erleidet.

Aus dem Tod aber wird Jesus in die Herrlichkeit des Vaters erweckt. So wenig seine Auferweckung nur ein privates Schicksal ist, sondern Anfang unseres Heils, unseres neuen und ewigen Lebens, so sehr ist sie doch auch Bestätigung Jesu und seiner Botschaft und seine Verherrlichung (vgl. etwa die Apostelreden in der Apg, z. B. 2,22–36; 3,13–26; 10,34–43).

Das Kreuz als Weg Jesu in die Herrlichkeit erfährt dort im Neuen Testament seine höchste Potenzierung, wo der Eintritt in die Herrlichkeit erfahren wird als Heimkehr in jene Ursprungs-Herrlichkeit, aus der heraus die Erniedrigung bis zum Tiefpunkt des Kreuzes erfolgte (vgl. Joh 17,4f.; 13,1; 16,28; Phil 2,6–11; Hebr 2,5–10). [77] Gottes Weg wird hier als Jesu Weg von Herrlichkeit zu Herrlichkeit durch die Erniedrigung verstanden. Wo die inneren Anlässe zu solcher Deutung liegen, wird sich uns vom Ende unseres Mitgehens her erschließen: Kreuz als Weg der größeren Liebe.

Weg der Erlösung

Wozu wird Jesus der Weg des Kreuzes zugemutet? Zu unserem Heil. Noch einmal sei erinnert an die Verknüpfung des Leidens Jesu mit dem Motiv des Dienens. Jesus soll sein Blut als Lösegeld für die Vielen hingeben. Dasselbe bezeugen die Deuteworte über den Kelch beim Abendmahl (Lk 22,19f.; 1 Kor 11,24f.; Mt 26,28; Mk 14,24), dasselbe auch jene Demuts- und Gehorsamshaltung, die Matthäus mit Jesu Bitte um die Taufe durch Johannes verbunden sieht (Mt 3,13–15). Solche Haltung ist auf Gott orientiert, gilt von ihm her aber jenen, zu denen Jesus gesandt ist, um ihnen Herrschaft und Heil Gottes nahezubringen und ihre Last mitzutragen. Das Motiv vom „Lamm Gottes“ (Joh 1,29 und 36) führt ausdrücklich diese Linie weiter.

Die Logik der Gottesherrschaft: Gott will in unserer Welt, in unserem Leben sich uns als Quelle jener Zukunft erschließen, die wir nicht vermögen. In seiner Zukunft soll unsere bloße „Vergangenheit“ – Schuld, Tod, Isolierung – aufgezehrt werden. Genau das geschieht grundlegend in Jesu Weg durch das Kreuz zur Herrlichkeit. Also trägt Jesus die Last des Todes, der Schuld, der Isolierung für uns. Im Gehorsam Jesu tritt das Schicksal der Menschheit, Tod und Schuld der Menschheit in den Anbruch der Gottesherrschaft ein, um in sie und durch sie in neues Leben verwandelt zu werden.

Diese Deutung wird gar unumgänglich, wenn die Perspektive auf das Kreuzesgeschehen aus der eigenen Betroffenheit gewonnen wird wie bei Paulus, der sich von der unverdienten Gnade des erhöhten Herrn und darin eben von seiner Liebe, von seiner Hingabe ereilt weiß. Das „für mich“, das er so tief und prägend an der Zuwendung des gestorbenen und erhöhten Herrn abliest, ist aber – und auch dies ist konsequent – keine bloß private Besonderheit, [78] sondern es gilt allgemein, für jeden, so sehr dies Paulus am eigenen Leben und Erfahren aufgeht. Wir alle – durch die Sünde getrennt von unserem Ursprung, ausgeliefert an unseren eigenen Versuch, Ursprung unserer Zukunft, unserer Gerechtigkeit, unseres Bestehens vor Gott und Welt zu sein – „ermangeln der Herrlichkeit Gottes“ (Röm 3,23). Die Situation des Paulus ist die unsere: „für uns“ ist Christus gestorben, persönlich für mich.

Immer wieder, in vielfacher Weise, wird auf die Bedeutung des Todes Jesu als Opfer und Sühne für uns und unsere Sünden in den neutestamentlichen Schriften hingewiesen (es sei nur an wenige Stellen aus unterschiedlichen Schriften des Neuen Testamentes außerhalb der Evangelien hier erinnert: Röm 3,25; 1 Kor 15,3; Gal 1,4; Eph 1,7; Kol 1,14; 1 Tim 2,6; 1 Petr 3,18; 1 Joh 1,7; 2,2; 4,10).

Die Reflexion im Neuen Testament führt aber weiter als bis zur Aussage: Jesus erleidet ein Schicksal für uns. Sie durchdringt diese Erkenntnis mit der sie vertiefenden und begründenden: Jesus erleidet für uns unser eigenes Schicksal, er erleidet in seinem das unsere.

Um einige Ausformungen dieses Gedankens zu erwähnen: Jesus hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Kreuz hinaufgetragen (1 Petr 2,24). Er hat uns vom Fluch erkauft, indem er selber den Fluch auf sich nahm, zum Fluch wurde (vgl. Gal 3,13). Ihn, der keine Sünde kannte, hat Gott für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gerechtigkeit Gottes werden in ihm (vgl. 2 Kor 5,21).

Wie Gott nicht nur „über“ Jesus handelt, sondern in ihm sich in unser Spiel bringt, so steht Jesus nicht nur für uns neben uns, sondern in sich, in seinem Kreuzestod, trägt und leidet er uns, unsere Schuld, unseren Tod, unsere Verlassenheit aus. Wir sind in ihm. So kommt Gottes Herrschaft: Jesus steht zugleich ganz auf der Seite Gottes und ganz auf der unseren. Gott und wir sind im einen, einzigen Sterben Jesu präsent (vgl. bes. 2 Kor 5, 15–21; auch der Begriff des Mittlers 1 Tim 2,5; Hebr 8,6; 9,15).

[79] Weg der Liebe

Es fehlt noch ein Schritt auf diesem Weg, ein Schritt, der den Anfang einholt und zugleich deutend übersteigt: Jesu Tod ist Weg der Liebe. Daß Gott Jesus unser Schicksal zumutet, ist Liebe, äußerste Liebe zu uns. Besonders eindrücklich wird uns dies im Römerbrief vor Augen gestellt (vgl. Röm 5,6–8; 8,31 und 8,31–39 insgesamt). Ebenso hat hier die johanneische Theologie des Todes Jesu ihre Spitze (vgl. Joh 3,16; 1 Joh 4,9 und 4,7–16 insgesamt). Dort, wo die Liebe Gottes zu uns als Grund und Inhalt des Kreuzestodes Jesu ausgesagt ist, wird aber noch eine weitere Deutung mitgesagt: der Tod Jesu ist Weg seiner Liebe, Tat seiner Liebe. Paulus will sein ganzes Leben nur noch in den Dienst und in die Liebe dessen stellen, der ihn geliebt und sich für ihn hingegeben hat, er, Jesus soll in ihm leben (vgl. Gal 2,19, 20). Johannes eröffnet die Passion mit dem Vorspruch, daß Jesus, da er die Seinen liebte, sie bis zum äußersten liebte (vgl. Joh 13,1.5.13ff.). Die Liebe Gottes und die Liebe Jesu lassen sich nicht auseinanderreißen, Jesus ist nicht nur ein Werkzeug der Liebe Gottes, sondern er tut mit, was der Vater tut. Das Leiden Jesu ist doppelte Tat: Tat Gottes und Tat Jesu als Tat der einen, umfassenden Liebe, die Gott uns schenkt.

Wo der Tod Jesu als Tat der Liebe Gottes vorgestellt wird, da liegt es in der inneren Konsequenz, daß von Jesus als vom Sohn, gar vom eigenen, einziggeborenen Sohn die Rede ist. Gott bleibt nicht draußen und darüber, sondern er ist „drinnen“ im Tod Jesu: in ihm geschieht Gottes Selbsthingabe. Es ist eine Aussage über unser Heil, ja über uns selbst, über unseren Wert, wer Jesus ist. Daß Gott einen anderen für andere sterben läßt – warum sollte dies die höchste Liebe sein? Daß er den eigenen Sohn dahingibt, daß im Tod Jesu etwas mit Gott selbst „geschieht“, daß er sich einläßt in unser Geschick: dies, erst dies ist die höchste Liebe, dies, erst dies ist aber auch die ganze Konsequenz von Gottesherrschaft, wenn anders sie eben bedeutet, daß Gott selber aufbricht aus der Peripherie ins Zentrum, daß er sich in die Mitte unseres Lebens begibt.

Die Aussage darüber, wer Jesus ist, das Dogma von ihm, dem [80] Gott und Menschen zugleich, ist also nicht abseitige oder zweitrangige Spekulation und Rechthaberei, sondern verdankendes Ernstnehmen dessen, wie weit Gott geht, wie ganz uns Gott entgegengeht.