Weil Gott barmherzig ist*

Aber gerade bei dieser Schwierigkeit überfiel mich zugleich ein anderes: Genau das ist es, was Gott mit seiner Kirche zeigen will. Genau das ist es, daß er aus Menschen, die so unterschiedlich, die „Juden und Griechen“ sind – um es in der Sprache des Neuen Testamentes zu sagen –, etwas machen kann. Nicht weil wir prima, nicht weil wir die besten Menschen sind, nicht weil man sich auf uns verlassen kann, sondern allein aus dem einen Grund: weil Gott gnädig, weil er barmherzig ist. Weil er der Menschheit zeigen will, daß er aus solchen „Figuren“ etwas machen kann, daß sie die Zeugen seiner Gnade seines Erbarmens, seines Daseins mitten in der Welt sein dürfen. Und wie ich jetzt zu diesen Menschen ja sage, daran bewährt es sich, wie echt, wie ehrlich, wie radikal ich ja gesagt habe zu Gott, zu seiner Tat in Jesus Christus, zu dem, was sein Wirken, was Kirche ist – nicht nur als ein äußerer Verband, sondern als sein Wirken für die Menschheit und in der Menschheit. Wenn man mich fragen würde, was ich am meisten in der Welt liebe, was mir das Kostbarste in der Welt ist, könnte ich wirklich nichts anderes sagen als: die Kirche! Allerdings, wenn man mich fragen würde, [39] was das Vergänglichste in der Welt ist, was am meisten anders werden muß, müßte ich wiederum sagen: die Kirche! Warum liebe ich die Kirche über alles, was ich in der Welt habe? Deswegen, weil ich daran glaube, daß in dieser Kirche mit all ihren Mängeln, mit all ihrer Not, mit all ihrer Vorläufigkeit, mit all dem, was anders sein könnte an ihr, Gott zur Menschheit steht. Und wenn ich alle Menschen liebe, dann muß ich gerade, wenn es mir um die Menschen geht, die Kirche lieben. Denn Kirche ist nichts anderes als das Zeichen dafür, daß Gott Menschen, wie sie sind, in ihrer Armseligkeit, in ihrem Nichts, in ihrer Vorläufigkeit und Relativität angenommen und ernst genommen hat. Mein Ja zu allen Menschen ist also dadurch real und wirklich, daß ich sie hineinstelle in dieses Ja Gottes, in sein Handeln, in seine Gnade, in sein Erbarmen mit den Menschen. Und das erfahre ich daran, daß ich mit anderen, die diese Kirche bilden, zusammengehören, daß ich diese Menschen und mit ihnen alle anderen annehmen darf daraufhin, daß Gott uns selber in Jesus Christus angenommen hat. Freilich, diese Kirche ist gerade deswegen auch furchtbar endlich, so endlich, wie Menschen es eben sind. Sie ist so endlich und relativ, wie es Geschichtliches eben ist. Kirche, das ist – wenn wir darauf schauen, [40] was Jesus eigentlich bringen wollte, das Reich Gottes, die Herrschaft Gottes, in der die ganze Schöpfung eins ist in Gott – geradezu eine „Ironie“. Kirche, das ist Struktur, Institution, Amt, Sakrament, Grenze, Dogma, Endlichkeit, Trennung voneinander. Aber es muß so sein, weil sonst die Endlichkeit, die Wirklichkeit, die jetzige Stunde, nicht ernst genommen würde. Kirche in all dem wird vergehen. Sie ist nicht ein Götzenbild, an dem wir uns festhalten dürfen, aber sie ist der Ort, an dem wir unser Ja zu Gott konkret sprechen können und an dem wir glauben können, daß Gott zu uns konkret ja gesagt hat. Über das, was Gott in der Kirche will, was Gott sich dabei gedacht hat, als er Kirche wollte, möchten wir kurz nachdenken.