Glauben – wie geht das?

Weiterführung bei Johannes und Paulus

Liebe ist eines der Grundworte in der johanneischen Theologie. Liebe, das meint sich verströmende, sich verschenkende, grundlos anfangende Liebe. Sie ist nicht nur eine Tat Gottes, sie ist nicht nur die „Transfusion“ Gottes in unser Leben, Gott selbst ist Liebe (1 Joh 4,8.16). In Jesus ist diese Liebe Gottes ganz da. Sein Weg ist [64] jener der Liebe bis zum äußersten, der Hingabe bis zum letzten (vgl. Joh 13,1). Die Liebe bewahren, in der Liebe bleiben, aus der Liebe Frucht bringen – das sind die Lebensvollzüge des Christen (vgl. Joh 14 und 15 insgesamt). Die einzelnen Schritte: wahrnehmen, daß Gott Liebe ist und seine Liebe in Jesu Lebenshingabe verschenkt, die Liebe erkennen und an sie glauben (vgl. 1 Joh 4,16); ernst machen damit, daß Gott zuerst geliebt hat und deswegen bereit sein zum Selberlieben (vgl. 1 Joh 4,1ff.); Jesu Liebe bis zum letzten, bis zum Tod zum Grund und Maß der eigenen Liebe machen: lieben, wie er geliebt hat (Joh 13,34; 15,12; 1 Joh 3,16).

Sicher ist diese johanneische Perspektive der Ethik Jesu nur von Kreuz und Auferstehung her plausibel zu machen. Dort wird offenbar werden, daß jene heiter gelassene Liebe dessen, der seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse und regnen über Gerechte und Sünder, sich offenbart und mitteilt zuhöchst in jener Liebe, die das Blut gibt. Dort wird sich erweisen, daß Leben gewinnen heißt: das Leben hingeben, daß Leben, göttliches Leben selbst Hingabe bedeutet (vgl. Joh 12,25; Mt 10,39; Mk 8,35; Lk 9,24; 17,33). Die schockierende Radikalität der Bergpredigt, die mit der Seligpreisung der um Jesu Namen willen Verfolgten anhebt und auf die Forderung bedingungslosen Vergebens und bedingungsloser Feindesliebe zuläuft, bahnt diese Dynamik an. Der gemeinsame Nenner ist jenes Wie, das (in der Sprache der drei ersten Evangelien) Himmel und Erde, Lebensraum Gottes und Lebensraum dieser Welt im Ereignis der anbrechenden Gottesherrschaft und das (in der Sprache des Johannes) Jesu Leben aus dem Vater und unser Leben aus Jesus miteinander verbindet und zur Gleichung bringt. Die Ethik Jesu ist die Ethik dieses Wie.

In den paulinischen Schriften finden wir Bestätigung und Verdichtung der Ethik Jesu in einer Haltung, die aus dem Glauben an den erhöhten Herrn wächst.

Eine knappe Formel, im Zusammenhang der Auseinandersetzung über die Rechtfertigung, finden wir im Galaterbrief: „In Christus Jesus kommt es nicht darauf an, beschnitten oder unbeschnitten zu sein, sondern darauf, den Glauben zu haben, der in der Liebe [65] wirksam ist“ (Gal 5,6). Immer wieder gipfelt im Gebot der Liebe das Ganze des Ethos, das der Apostel von den Gemeinden als Bezeugung und Bewährung ihres Glaubens erwartet. Das ganze Gesetz ist für Paulus in dem einen Wort zusammengefaßt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (vgl. Gal 5,14; Röm 13,8–10).

Liebe weist freilich über das „Du sollst!“ hinaus, sie ist vor allem die Liebe Gottes, die uns in Jesus Christus, in seiner Selbsthingabe bis zum äußersten geschenkt ist (vgl. Röm 5,8; 8,35.39; 2 Kor 5,14; Gal 2,20; Eph 2,4). Diese Liebe wohnt in uns als Gabe des Geistes (vgl. Röm 5,5), und auch wo diese Liebe zu unserem Weg, zu unserer Tat wird, ist sie zuerst Gottes in uns wirksames Geschenk, Gottes in uns wirkende Gnade (vgl. 1 Kor 13).

Im Epheserbrief nähert sich Paulus einmal der johanneischen Formulierung des Neuen Gebotes, indem er unsere Pflicht zur Liebe darin verankert, daß und wie uns Christus geliebt hat (vgl. Eph 5,2). Der – übrigens auch der johanneischen Denkweise entsprechende – Überschuß der Liebe über die Ethik ist paulinisch das Entscheidende an der christlichen Ethik.

Kennzeichnend ist auch die Umkehrung der Wertordnung zwischen Erkenntnis und Liebe: Erkenntnis bläht auf, Liebe baut auf (vgl. 1 Kor 8,1; 13,1f.). In ihr ist das Göttliche Gottes in uns wirksam, in ihr wird Gottes Leben unser Leben. Was wir als das Grundgeschehen des von Jesus angesagten Anbruchs der Gottesherrschaft entdeckten, bestätigt sich in der Ebene des Verhältnisses zwischen Gottes Handeln und unserem Handeln, seiner Gnade und unserer Freiheit in der Lehre des Paulus von der Liebe. Der Sache nach dürfen wir auch hier von der Struktur des Wie sprechen: liebend leben wir, wie Gott lebt, liebend wird sein Leben – wir wiederholen – unser Leben.