Philosophisch-Theologische Reflexionen zum Thema: „Unsere Verantwortung für die Welt von morgen“

Welt als Gefüge

Wie kann ich in unserem Kontext das, was hier philosophisch zum Thema „Welt“ zu bedenken ist, an einem Modell einigermaßen plausibel machen? Ich suchte nach einer Redensart, an der ich die elementaren Momente aufspüren kann, die zum Weltsein der Welt gehören, und ich bin auf die Redensart gestoßen – oder bin bei ihr geblieben: „Mir bricht eine Welt zusammen“. Diesen Satz hören wir öfters, wenn einem Menschen etwas widerfährt, das ihn aus der Bahn wirft und ihm eine andere Dimension seines Sehens, Lebens und Verhaltens eröffnet. Was passiert, wenn ihm eine Welt zusammenbricht? Was eigentlich zusammenbricht, sind nicht einzelne Daten und Fakten, sondern an einzelnen Daten und Fakten wird offenbar, daß die vielen Daten und Fakten zusammenhängen in einem Gefüge. Ein Gefüge bricht zusammen – ein Zusammenhang, eine Vielfalt und zugleich Einheit von Beziehung, von Verhältnis. Beziehungsgeflecht, Verhältnis, Gefüge, das so etwas Ähnliches wie eine Ordnung darstellt: dies bricht zusammen. Also ist in der Mitte von „Welt“ nicht dieses und jenes und die Summe von dem und jenem, sondern ein unsichtbares, ein zusammenhaltendes Gefüge, das jedem seinen Ort und seinen Platz anweist. Wenn einem eine Welt zusammenbricht, dann stehen die Dinge nicht mehr an dem Platz wie vorher, sie ändern ihren Ort, sie fallen übereinander, die Ordnung, das Gefüge, eben jenes Stabilisierende und unsichtbar Eine in den Beziehungen bricht zusammen. Das Wichtigste an der Welt ist das, was fügt, ist das, was ihre Beziehungen ins Gleichgewicht, ins Lot bringt und so allem einzelnen in dieser Welt eine Ordnung und einen Ordnungsplatz zuweist.

Freilich, wenn ich sage, eine Welt bricht zusammen, dann ist das, was zusammenbricht, normalerweise mehr als ein Bücherschrank; es ist nicht nur irgendein Haus, das einbricht, es ist nicht nur irgendeine Erdscholle, die versinkt, sondern es ist das Ganze. Wenn das erste Ergebnis unserer Überlegung heißt: Zur Welt gehört Gefüge, dann heißt das zweite: Zur Welt gehört Beziehungszusammenhang; das heißt: In diesem Beziehungszusammenhang steht alles. Eigentlich ist nichts nicht davon betroffen, wenn meine Welt mir wirklich [19] zusammenbricht. Entscheidend ist bei der Welt, daß sie umfangend, umfassend ist, daß sie Gefüge ist, in dem alles, was ist und sein kann und in meinen Horizont tritt, seinen Platz hat. „Alles“ ist dabei wiederum nicht eine Summe von einzelnen Gegenständen, sondern „Alles“ ist alles Wirkliche und alles Mögliche. „Alles“ ist mehr als Summe, ist Inbegriff, ist Inbegriff der Möglichkeiten.

Schauen wir noch einmal hinein in diesen Satz, ein drittes Mal: „Mir bricht eine Welt zusammen“. Mein Gefüge bricht mir zusammen. Alles ist davon betroffen, ich bin davon betroffen, ich, aber ich und das Andere. Ich bin nicht „Alles“. Wenn mir eine Welt zusammenbricht, bin ich nicht „Alles“. Ich bin zwar maßgeblich, aber ich bin nicht „Alles“. Meine Welt, die hat mit mir zu tun und die gibt es nicht ohne mich. Welt gibt es nicht ohne einen, der sie als solche erfährt und zusammenhält. Ich, Mensch, das gehört dazu, aber Mensch nicht allein, sondern Mensch und andere, Mensch und Sache, Mensch und Ding, Mensch und Verhältnisse. Nur wenn der Mensch nicht allein ist, nur wenn der Mensch nicht „Alles“ ist, sondern wenn es auch noch anderes gibt als den Menschen, gibt es eine Welt. Drittes Moment: Das Andere und ich gehören zu dieser Welt.

Und ein vielleicht leisestes und tragendstes Viertes gehört hinzu, nämlich: Welt ist dadurch Welt, daß es in ihr weitergeht. Wenn ich in einer Welt lebe, kann ich damit rechnen und gehe davon aus, daß es weitergeht. Wenn eine Welt zusammenbricht, dann geht es eben nicht mehr so weiter oder gar, wenn die Welt zusammenbräche, überhaupt nicht weiter. Daß es weitergeht, daß also der Lauf der Dinge, der Lauf des Lebens, der Lauf der Verhältnisse eine Prospektive und Perspektive haben, eine Bahn, die weiterführt, diese Zeithaftigkeit, das ist das vierte Element.

Lassen Sie mich diese elementaren vier Momente noch einmal nennen, die an diesem einfachen Satz „Mir bricht eine Welt zusammen“ ablesbar sind. Erstens: Gefüge, Beziehung, Geflecht, Ordnung. Zweitens: „Alles“, universal alles, alles Wirkliche, alles Mögliche. Drittens: Was ist alles „Alles“? Es sind „Ich“ und das Andere, der Mensch, die Dinge, die Personen und die Verhältnisse. Und viertens: Dieses Gefüge ist zeithaft, hat Zukunft und ist Gewähr dafür, daß Zukunft [20] stattfindet, Raum, in dem sich Zukunft entfaltet. Dies wäre das erste, was elementar über Welt zu sagen wäre, aber natürlich nicht das letzte.