Wie als Priester heute leben?

Wichtiger ist die Offenheit fürs Ganze (also für die ganze Gemeinde, fürs Bistum, für die Weltkirche) als noch so wichtige partikuläre Interessen.

Zum Schluß zwei Gewichtungskriterien, die gegen eine Horizontverengung gerichtet sind, wie sie in der eigenen Kleinarbeit immer droht. Gerade der Aufbau von Kirche, von Gemeinde von unten her bedarf des Blicks auf die größere Gemeinschaft. In Fulda sagte der Papst in seiner Ansprache an die Bischöfe: Es „gibt mir zu denken, daß ich (in Afrika oder Lateinamerika) weithin einen größeren Optimismus bei wesentlich geringeren Zahlen von zur Verfügung stehenden Seelsorgern angetroffen habe als im westlichen Europa ... Eine Panik angesichts der schweren Situation verstellt uns den nüchternen Blick für das, was der Herr von uns will ...“1

Optimismus und Nüchternheit bedürfen des Horizonts der Gesamtkirche. Die richtige Erkenntnis für den entscheidenden Wert der Ortskirche in all ihren Stufen kann gerade nur unter diesem je größeren Horizont gedeihen.

In der immer dichter zusammenwachsenden Welt, in der immer lebendigeren, zugleich fordernden und beschenkenden [14] communio aller Ortskirchen auf dem Erdkreis könnewir uns nicht davor verschließen: Wichtiger ist die Offenheit fürs Ganze als noch so wichtige partikuläre Interessen.

Und doch ist die Sache so einfach nicht. Je näher alles zusammenrückt, je dringender das Denken ans Ganze wird – übrigens auf jeder Ebene, Gemeinde, Bistum und Weltkirche –, um so mehr geht auch auf: Die Situation ist nicht überall gleich, kirchliche Passepartout-Schlüssel passen nicht in alle Schlüssellöcher. Dennoch wäre nichts fataler als der Rückzug ins Selbstbewußtsein: Was für meine Gemeinde, was für meine Jugend richtig ist, das weiß ich besser; der Bischof und Rom sind weit. Mutiges Einbringen der eigenen Fragen und Erfahrungen ins Ganze, aber auch Annahme der übergreifenden Gesichtspunkte des Ganzen, Horizonterweiterung über das Eigeninteresse und die Eigenerfahrung hinaus, das kostet immer ein Stück schmerzlichen Weggebens des Eigenen; aber es schenkt anderes, Wichtigeres hinzu. Oft genug ist es eine der besonders lastenden Aufgaben des Priesters, Anwalt des Ganzen zu sein und Probleme, Aufgaben, Lösungen mittragen zu müssen, die sich vor Ort nur schwer verständlich machen lassen.

Ist das nur unnötige Zusatzbelastung, vertane Kraft, Einsatz, der nichts bringt? Keineswegs. Nur wer über sich hinaussieht aufs Ganze, sieht gut. Ich bin mir nicht selbst der Nächste, fürs Eigene gibt es nur Boden und Sauerstoff im Ganzen, Umfassenden. Im Wechselspiel des doppelten Mutes, des Mutes zum Einbringen des Eigenen und zum Annehmen des Anderen, des Ganzen gehen wir jenen Weg, der schon in der Apostelgeschichte und in den paulinischen Gemeinden beginnt und der einfach der Weg des Geistes ist, jenes Geistes, der umfassend, der „katholisch“ ist: Ich glaube an die katholische Kirche.


  1. Papst Johannes Paul II. in Deutschland, 126. ↩︎