Wie als Priester heute leben?

Wichtiger, weil fruchtbarer, ist das Kreuz als die Effektivität.

Im Anschluß an die Jeremiasstelle „Ach, Herr, ich kann nicht reden“ (1,6) stellt der Papst in seiner Priesterpredigt 1980 in Fulda fest: „Der Mensch, der seine Berufung und Sendung erkennt, spricht zu Gott von seiner Schwäche.“1 Im Anschluß daran kritisiert er aber Vertreter eines Priesterbildes, die „heute oft diese Schwäche zum Grundprinzip alles anderen zu machen (scheinen), indem sie diese fast zu einem Menschenrecht erklären“. Er fährt fort: „Christus hingegen hat uns gelehrt, daß der Mensch vor allem ein Recht zur eigenen Größe hat, ein Recht auf das, was ihn überragt... Unsere wahre Größe ist ein Geschenk aus der Kraft des Heiligen Geistes.“2

In diesem Kontext ist die Berufung auf das Kreuz zu sehen, also nicht zunächst und zuerst das im eigenen Leben erfahrene Kreuz, sondern die Hochspannung, die vom Kreuz Christi her das Verhalten des Priesters bestimmt: Die Schwäche des gekreuzigten Christus wirft gerade nicht auf die Banalität des Leidens an sich selbst zurück, sondern überwindet die Schwäche, die im Mangel an großherziger Liebe ihren Ursprung hat. Im Blick auf das Heilswirken Gottes in Jesus, im Blick auf das, was allem priesterlichen Dienst allein Sinn und Richtung weisen kann, gilt es also gewiß: Wichtiger, weil fruchtbarer, ist das Kreuz als die Effektivität.

Aber läßt sich das so auch sagen als praktische Maxime für den Priester? Sollen wir das, was wir selber verdorben haben oder was uns einfach nicht gelingt, zum Kreuz erklären und uns von der unbequemen Anstrengung dispensieren, Schwächen als Schwächen zuzugeben und Fehler als Fehler zu korrigieren? Wir sollen es gewiß nicht. Und jeder, der im Wort vom Kreuz eine Entschuldigung fände, um nicht alles zu tun, was eben nur durch Tun getan ist, oder um das nicht zu ändern, was nur durch Änderung anders wird, der degradiert das Kreuz zum Trick.

Doch dies nimmt nichts vom Kreuz als dem Grundgesetz wahrer Fruchtbarkeit hinweg, sondern es fügt nur noch etwas hinzu. Ja, es ist ein Kreuz, es ist von Christus getragenes Kreuz, daß wir nicht alles gut gemacht haben, daß wir schuldig geworden sind und schuldig werden. Ich muß dieses Kreuz tragen und annehmen, auch das Kreuz, daß ich durch mein Versagen Wirkmöglichkeiten vertan, von Gott mir zugedachte Chancen verspielt habe. Aber wenn das alles von Christus in seinem [13] Kreuz getragen und verwandelt ist, dann heißt dies für mich: mich nicht zurückziehen, sondern neu anfangen, neu mein Kreuz annehmen, das hier Mögliche zu tun.

Oft genug gibt es freilich Situationen, in denen nichts mehr zu machen ist. Ist hier alles aus? Nur so, wie es für die Mutter unter dem Kreuz „aus“ war. Stehenbleiben unter dem Kreuz, Ohnmacht tragen und bestehen, mit der Liebe und mit der Hoffnung nicht am Ende sein, wo alles am Ende ist: vor diesem Punkt darf der Priester sich nicht scheuen. Und wenn er es nüchtern besieht, kommt er immer wieder, vielleicht jeden Tag irgendwo und irgendwie an diesen Punkt. Es ist der kostbarste Punkt, der Punkt, an dem er ganz dicht Kontakt hat mit dem Herrn. Das soll ihn nicht über diese schmerzlichen Situationen hinwegtrösten, sondern ihn – wenn man so sagen darf – in sie hineintrösten, will sagen, ihn ermutigen, sie anzunehmen und zu bestehen. Nicht die Augen verschließen vor den Kreuzen, die auf uns zukommen, nicht vor ihnen umkehren und das Effektivere aussuchen, sondern Spannungen aushalten – allerdings mit dem, der sie bereits ausgehalten hat, und, dies darf hinzugesagt werden, mit jener, die dabei unter seinem Kreuz stehenblieb. Nur so gelingt auch der Durchbruch zum Sehen und Gehen neuer Wege, zum Wagen neuen Anfangs.

Dies ist – wie vielleicht nichts anderes – Weg der Heiligung für uns und für jene, denen unser Dienst gilt. Unter dem Kreuz und am Kreuz zeigt es sich, daß es nicht Triumphalismus, sondern letzter Realismus ist, wenn wir bekennen: Ich glaube an die heilige Kirche.


  1. Papst Johannes Paul II. in Deutschland, 114. ↩︎

  2. Papst Johannes Paul II. in Deutschland, 114 ↩︎