Besprechung von: Heinrich Rombach „Strukturontologie“*

Wie geht es nicht?

In einem abschließenden Abschnitt „Beiseite gesprochen“ (358f.) weist R. zu einem entschiedenen letzten Male auf die vielfältige Möglichkeit des Mißverständnisses hin, die sein provozierendes, geschehendes, in ständiger Korrektur begriffenes Buch einschließt. R. fürchtet sich nicht vor den Mißverständnissen (vgl. etwa 22), er nimmt sie als den Preis in Kauf, der für das Mitgenommenwerden auf einem Weg bezahlt werden muß, welcher nicht ohne die Gefahr ist, daß man „auf der Strecke bleibt“, will sagen, daß man sich an der Einzelheit festmacht und von ihr her das Ganze zum System pervertiert. Strukturontologie ist durch und durch „einzelheitlich“, aber ihre Einzelheiten sind die eines Weges, sie sind da, um verlassen zu werden. Sich einlassen auf … und jede Stelle im Vollzug dieses Sich-Einlassens wieder verlassen sind eines.

Wenngleich diese Rezension so wenig von den einzelnen „Stellen“ des Weges berührt, ausdrücklich macht, daß sie ihn nicht wiedergibt, gehört es zu ihr, knapp auf einige Mißverständnisse hinzuweisen, die das Mitgehen erschweren oder die es von dem Weg abdrängen könnten, der mitgegangen sein will. Es geht ja in ihr um nichts anderes als um die Einladung zu diesem Mitgehen, nicht um seinen Ersatz, um sein Ergebnis oder um seine „Kurzfassung“ – eine solche hieße ja gerade den Weg nicht gehen.

[218] Ein Mißverständnis, das schon wiederholt berührt wurde, ist mit den Worten wie Solipsismus, dialoglose Einsamkeit, bloße Leistung, Subjektivismus bezeichnet. Das Ich bleibt nicht allein, ja es geht nicht einmal von sich aus auf dem Weg der „Strukturontologie“. Es kommt erst zu sich – wobei es sich jedoch gerade nicht um „das“ Ich (103), sondern um mich handelt. Und ich komme zu mir im Weggang, im wirklichen, Wirklichkeit zugleich stiftenden und findenden Weggang von mir, der so freilich Rückgang auf mich ist, Rückgang aber ins Hinauskommen über mich. Das „bin“ solcher Bewegung ist das Vollbringen der Totalität seiner Bezüglichkeiten, Beziehung wird nicht aufs Ego und seine Selbstdarstellung reduziert; vielmehr wird das „ich bin“ durch seine Bezüglichkeiten gerade konstituiert, verwandelt.

Verwandlung – und um Verwandlung geht es andauernd in R.s Buch (Index 364; 89–95; 92f.) – läßt das Verwandelte dem ähnlich, manchmal schier gleich erscheinen, was verwandelt wurde. Nichts aber ist fataler als die Verwechslung des Verwandelten mit dem, dem sie geschah.

Genauso „verwandelt“ wie Solipsismus oder erkenntnistheoretischer Idealismus (man könnte natürlich auch die Kontrapositionen hier einsetzen, da sich R.s Gedanke ebenso auf sie hin mißverstehen ließe) ist der Relativismus (dazu etwa 157), den gewiß nicht wenige hinter vielen Stellen des Buches wittern, ehe (oder auch nachdem?) sie R.s „Anhaltspunkte für die Lösung des Relativismusproblems“ (317–319) gelesen haben. Für R., nein im Vollzug des Strukturgedankens, kann man die Sache nicht so oder so ansehen, wenigstens nicht derart so oder so, daß es egal wäre wie. Struktur erbringt sich im Gehen eines Weges, und dieser Weg ist fürs Gehen der einzige; sonst geht es nicht. Das schließt freilich zweierlei mit ein, was einem starren Dogmatismus, einer Versteinerung von Positionen radikal widerspricht. Einmal gehört zur Entschiedenheit des Weges seine andauernde Korrektur und die andauernde Überholung seiner Etappen. Er ist in seiner Entschiedenheit reine Mobilität. Zum andern gehört zum Weg die Landschaft, alle Landschaft, da auch die in dieser Landschaft entzogene sie zu dieser macht. Und in dieser Landschaft gibt es die Kommunikation des Blicks, der Konvergenz, der Differenz zu anderen Wegen. Aber Umwege werden dadurch nicht zu Wegen, Umwege sind als solche sichtbar, Wegen, auch Kreuzwegen eignet in der Logik des Gehens keine Gleichgültigkeit. Damit sind Entschiedenheit, Kontinuität, Jeweiligkeit zugleich gegeben – freilich auch die Verwandlung der Landschaft im Gehen und somit eine radikale Endlichkeit des Ganges, die der Anwesenheit von Absolutem nicht widerspricht, die sie nicht relativiert, die vielmehr mit ihr in strenger Identität koinzidiert (vgl. 241). Gewiß, die Fülle des bei R. hierzu Gedachten ist in derlei Anmerkungen simplifiziert, und umgekehrt verzichtet er oft genug auch seinerseits auf Ausarbeitung des Gedachten in alle Konsequenzen; aber diese können im Mitgehen gesehen werden.

Mißverständnissen eines Theologismus, Ästhetizismus, Anthropomorphismus oder Biologismus (dazu 358f.) war bereits im Vollzug der Frage, worum es in der Strukturontologie gehe, zu begegnen. Nachzutragen bleibt, daß die Totalität des Ansatzes, die den Ausgriff aus dem Moment und im Moment aufs Ganze ernötigt und rechtfertigt, gerade nicht zu einer Konfusion der Hinsichten führt. Konvertibilität, Übersetzbarkeit bedeutet gerade keine Gleichgültigkeit und Gleichartigkeit. Auf köstliche Weise wird dies etwa sichtbar in der Gegenübersetzung von „Totalitarismus und Ausschließlichkeit“ (69–74).

Ein äußerstes Mißverständnis muß noch berührt werden. Es liegt auf der Hand, daß R. seinen Weg nicht, wenigstens nicht so, ohne die Phänomenologie (als philosophische Bewegung und Richtung) und ohne Heidegger hätte gehen können (vgl. 15ff., 18). Es liegt aber auch auf der Hand, daß R.s Weg keineswegs nur eine „Verlängerung“ der hier liegenden Voraussetzungen darstellt. Ja die Frage liegt nah, ob nicht sogar in solchem Weitergehen „Verlustanzeige“ zu erstatten wäre im Bezug auf äußerste Fragestellungen, wie sie beim späten Heidegger aufgebrochen sind. Diese Frage darf nicht vorschnell mit Ja beantwortet werden. Zumindest, so scheint es dem Rezensenten, wäre es ein Mißverständnis, wollte man in R.s Strukturontologie einen Rückfall hinter die ontologische Differenz vermuten (vgl. 164f.). Die Konkretion, in welcher das Strukturdenken verläuft, stiftet eine Identität von Ontologischem und Ontischem, die im „Ontischen“ aufscheint. Doch geht gerade die Struktur nicht – und geht noch weniger das Bild, das auf dem Weg des Strukturdenkens wie in Künftiges bereits vor-scheint (vgl. 165 und vor allem 321f.) – auf in dem, was sich sagen und machen läßt. Indem Struktur den Vollzug, diesen Vollzug fordert, um Struktur zu sein, und indem Bild einfach da ist, entgehen sie [219] dem sie leistenden Gedanken oder Tun. Der Gedanke selbst wird Anweisung, das Tun selbst Bereitung. Der Spruch XI aus dem Tao-Te-King, der das Buch R.s eröffnet, weist auf das, was es leistet. Es leistet, gerade nicht mehr zu leisten als solche Anweisung und Bereitung. Im Ungesagten ist das Wesen des Buches. Die Ungesagtheit des Ungesagten verändert sich freilich in R.s Strukturontologie gegenüber den Weisen, wie Ungesagtes sonst anwesend war. Das Ungesagte hört auf, Thema zu sein. Gerade so scheint aber sein „Einbau“ vermieden zu werden, der es ins System verfremdet.

Diese Aussage mutet sich zu, letztendlich kein Mißverständnis des Endes zu sein, in dem R. auf den Anfang zurückgreift. Dort, am Anfang, ist vom Wesen die Rede, das nicht in den Dingen sitzt, sondern dort ist, wo sie nicht sind, in ihrem Zusammengehören. Wesen erscheint wie die „leere“ Mitte, die alles aneinander vermittelt (vgl. 10–12). Am Ende steht folgender Satz: „Aus der Mitte, die überall sein kann, aber nur hier ist, wird alles zu sich hin befreit. Für ein solches kosmisches Befreiungsgeschehen ist freilich ein Zustand vorausgesetzt, der noch nicht bei sich selber ist. In diesem Zusammenhang ist vom ‚Menschen‘ die Rede, oder es ist davon die Rede, daß an der Stelle der Mitte ein bestimmtes Wesen seiner nur scheinbaren Bestimmtheit entkleidet und als das Wesen selbst offenbar wird. Das, so scheint es, ist der Sinn von Sinn.“