Wegmarken der Einheit

Wille Gottes und Spiritualität des Fokolar

In unserem Durchgang durch die Geschichte des Willens Gottes im Leben Jesu haben wir nichts anderes getan, als unter der Perspektive des Willens Gottes die Punkte der Spiritualität des Fokolar nachzuzeichnen, die selber Frucht einer konkreten Geschichte von Menschen mit dem Willen Gottes sind, den sie zu leben suchten. Daß Gott Liebe ist, daß er allein zählt und bleibt, daß die Entscheidung für ihn alles ist – dies steht am Anfang. Sich für Gott entscheiden, an seine Liebe glauben und darum den Willen Gottes tun, Augenblick für Augenblick: dies brachte 1943 in der persönlichen Lebensgeschichte Chiara Lubichs jene Bewegung in Gang, die, viele ergreifend, zum Werk Mariens geworden ist. Wahl Gottes, Glauben [92] an die Liebe, an den Gott, der Liebe ist, Leben aus dem Willen Gottes, dies ist sozusagen das erste Kapitel, jenes, in welchem die Frohbotschaft Jesu, sein Ruf zur Umkehr und sein Ruf zur Nachfolge sich spiegeln.

Im „Leben aus dem Wort“, im Buchstabieren des Evangeliums Silbe für Silbe, immer gemäß der Frage, was Gott konkret hier von uns will, erfolgte die Konzentration: Der Wille Gottes in allem, was er will, kulminiert, faßt sich zusammen im Neuen Gebot Jesu. Es wurde offenbar als die Mitte, als das Lebensgesetz christlicher Gemeinschaft schlechthin.

Aber wo begegnen wir in ihrer Vollgestalt der Liebe, wie Jesus uns geliebt hat? Die Antwort, die Chiara Lubich und ihren Gefährten zuteil wurde: im Schrei der Gottverlassenheit Jesu am Kreuz, dort, wo er die Einheit mit dem Vater in der äußersten Entfernung vom Vater, in der Verbindung mit aller Gottverlassenheit und Gottferne der Welt gelebt hat. Ihm, dem gekreuzigten und verlassenen Herrn, können wir jeden Tag, in tausend Gestalten und unter tausend Namen, begegnen. Ihn stets sofort liebend umarmen heißt: immer im Innersten des Willens Gottes leben.

Und was geschieht, wenn unser Leben für Jesus und mit ihm sich in diesem Brennpunkt seiner Liebe zum Vater und zu uns sammelt? Es wächst jene Einheit nicht nur mit dem Vater in Jesus, sondern auch jenes Einssein miteinander, um das Jesus gebetet hat für die Seinen. Dreifaltige Lebensform wird zur menschlichen, zur gemeinsamen Lebensform, und das beständige Mühen und Fragen eines jeden Tages und eines jeden Augenblickes heißt: Leben wir so in dieser Einheit, daß Jesus wahrhaft in unserer Mitte sein kann?

In einem solchen Leben geschieht aber nicht Auszug aus dieser Welt, sondern Zeugnis für diese Welt und Dienst an ihr, Leidenschaft, daß alle eins seien und daß gerade jene in diese Einheit hineingezogen würden, die mit ihrer eigenen Gottferne und Gottverlassenheit den Schrei Jesu am Kreuz auch jetzt lebendig widerhallen [93] lassen. Dieser Weg ist der Weg der beständigen Nachfrage nach dem Willen Gottes, der immer derselbe und doch immer neu ist, der sich zeigt in den unveränderlichen Wahrheiten und Geboten, in den Fügungen und Führungen Gottes.

Bleibt zum Schluß noch zu erinnern daran, daß es einen Menschen gibt, in dem sich der in Jesus Mensch gewordene, menschlicher Wille gewordene Wille Gottes rein und makellos spiegelt, als Vorbild, Ermutigung und Hilfe für uns: Maria. Ihr doppeltes fiat bei der Verkündigung des Engels und zu Füßen des Kreuzes markiert die Lebensgestalt dessen, der Gottes Wille tun will, markiert die Berufung der Kirche. Jener ist Jesus Bruder, Schwester und Mutter, der den Willen des Vaters tut (vgl. Mk 3,33–35). So ist es die Berufung und Aufgabe des Fokolar, aus der Leidenschaft für den Willen Gottes Werk Mariens, ja, recht verstanden, Maria für die Menschheit von heute zu sein.