Gerufen und verschenkt. Theologischer Versuch einer geistlichen Ortsbestimmung des Priesters

Wo begegnen wir Jesus Christus?

Alles ist anders, weil es Jesus Christus gibt. Aber ist es auch wirklich anders für mich und in mir? Lebe ich mit dieser Andersheit, mit dieser Neuheit meines Lebens und Sterbens, meiner Zeit, aller menschlichen Beziehungen, mit dieser Neuheit Gottes selber und der Welt? Ich kann mit dieser Andersheit und Neuheit nur leben, wenn ich mit dem lebe, der als der Erhöhte uns sagt: „Seht, ich mache alles neu“ (Offb 21,5). Es gilt, nochmals den veränderten Verhältnissen und Beziehungen unseres Lebens entlangzugehen, um nun nicht mehr von Jesus her auf diese hin, sondern von ihnen her auf Jesus hin zu blicken, ihm zu begegnen. Wagen wir für diesen Hinblick die ihm angemessene, an der Überlieferung geist-[67]licher Theologie über Bedenken hinweg gerechtfertigte Redeweise: des Ich zum Du, der Anrede statt der Aussage.

Der Jesus des neuen Sterbens und Lebens: Eucharistie

Jesus, du hast mich in meinem eigenen Sterben und Leben ein neues Wort entdecken lassen, das Wort „für“. Was ich festhalten will, wird Gabe, die mir gegeben ist zum Weitergeben. Was ich nicht verlieren will, worum ich bange, wird wiederum Gabe, die sich nur im Weggeben entfaltet und erfüllt. Du selbst bist es, der Leben und Sterben wandelt, aber auch begleitet und aufhellt. Wo bist du, Jesus meines Sterbens und Lebens? Du bist in der Eucharistie. Sie ist in einem die beständig neue Gegenwart deiner Todeshingabe – und dein Bleiben als der leibhaftig Verherrlichte hier bei uns. Nur in deinem Tod können wir dein Leben haben, aber dein Leben habend, sind wir gestärkt für unseren Weg, für unser eigenes Pascha, das einmal am Ende, aber zugleich jeden neuen Tag geschehen will. Leben ist Sichgeben, Sterben ist Sichgeben; dein Sterben und Leben geben sich uns, du selbst gibst dich uns in der Eucharistie. Laß mich jeden Tag aus ihr leben; gib mir die Leidenschaft, daß durch mich viele in dir das froh machende eine Geheimnis ihres Sterbens und Lebens finden; laß mich Diener deines Leibes sein, Diener der Eucharistie und der Kirche, des Leibes, der, andauernd in den Tod gegeben, der Welt das Leben gibt und das Leben der Welt in sich birgt. Laß mich Eucharistie nicht nur feiern, laß sie mich leben und laß mich immer neu vor ihr verweilen, um die stillen Augenblicke meines Sterbens und Lebens aus ihr zu nähren, sie in die Richtung deiner Hingabe von dir als dem allmächtigen Magneten ziehen zu lassen.

[68] Der Jesus der neuen Zeit: Wort des, Lebens

Jesus, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind anders, weil es dich gibt. Wie kann ich meine Zeit mit deiner neuen Zeit, mit deiner Gegenwart durchtränken? Wie kann ich der Traurigkeit des Vergehens, dem Krampf des Festhaltenwollens entrinnen und Zeit leben mit dir, so daß deine Gegenwart in ihr aufleuchtet? Wie kann ich Gott hineintragen in die Welt, die Welt hineintragen im Gott und Gottes Gegenwart den Weg bahnen unter uns? Du hast mir dein Wort gegeben. Und in diesem Wort bist du selber. Es ist nicht nur das Wort,, das du einmal gesprochen hast, es ist das Wort, das du sprichst, du, der Lebendige. Weil du es einmal sprachst, ist es gut und wichtig, zu fragen, wie, in welchen Kontexten, in welchen Verständniszusammenhängen du es gesagt hast. Es ist notwendig, es mir zusprechen zu lassen aus dem Weg der Jahrhunderte, aus der Kraft, die den Glauben erleuchtete und Lebe n veränderte im Gang der Kirche. Aber es ist auch gut und wichtig, es dabei nicht bewenden zu lassen. Jetzt sagst du dein Wort, jetzt begegne ich dir in deinem Wort, bist du da in ihm. Laß mich so mit ihm leben, daß ich in ihm neu von dir her die Welt, neu aus meiner Welt- und Lebenserfahrung dich sehe und finde, dich Gestalt werden lasse in mir und in dem Feld, das du mir zu bebauen anvertrautest. Und gib, daß wir im Wechselgesang der gegenseitigen Liebe, im Leben aufeinander zu und miteinander, dein Wort unter uns Gestalt werden lassen, so daß du selbst in unserer Mitte sein kannst und wir der lebendige Leib deines Wortes sind. Gib mir, die vielen Ereignisse des Lebens zu buchstabieren in deinem Wort; gib mir, daß immer mehr Augenblicke gelebtes Wort sind, Botschaft, die ich nicht sage, sondern bin, Licht, das ich nicht anderen aufstecke, sondern das mich verbrennt und andere erleuchtet.

[69] Der Jesus der neuen Menschen: Jesus in mir, im anderen, zwischen uns

Jesus, in dir wurde der Mensch wunderbar erschaffen und noch wunderbarer erneuert. Du läßt mich neu „ich“ sagen, neu das Du sehen, neu das Wir leben. Wie finde ich in diesen Beziehungen dich selbst, wie lerne ich und lebe ich das in dir erneuerte und verwandelte Menschsein? Weiter innen als mein Innerstes bist du selbst in mir. Du hast dich durch deinen Geist in mich eingesenkt. Dein Prägemal ist unauslöschlich durch die Geistgabe der Taufe und der Firmung eingebrannt, die Kraft und die Liebe dieses Geistes wirken in mir, wenn ich in dir bleibe, du hast mich aufs neue mit dir selbst versiegelt durch deinen Geist in der Priesterweihe, so daß ich in deinem Namen und an deiner Stelle deinen Tod und dein Leben verkünden und in der Eucharistie gegenwärtigsetzen darf. Laß dies in mir Leben werden. Aber wie wird es Leben? Hilf mir, in jedem Ich, das ich sage, zugleich „du“ zu dir zu sagen, nicht mich an mir festzumachen und in mich zu verschließen, sondern mich zu öffnen zu dir hin, so daß dein inwendiges Du mein Ich öffne und löse. Schenk mir den Geist dieses beständigen Gebetes, dieses stillen Verweilens in deiner Gegenwart. Laß das Wissen, daß du da bist, wie eine Grundwelle sein, die den Strom meines Lebens durchzieht und so mich deinen Frieden haben und geben läßt. Laß mich in jedem Du, das mir begegnet, durchstoßen bis zu dir. Laß mich erkennen, daß du im Nächsten und Fernsten, im Sympathischen undUnsympathischen, im Mir-Gleichen und Mir-Fremden mich anblickst, so daß ich jedesmal, wenn ich es mit meinem Nächsten zu tun habe, wahrhaft mit dir zu tun habe. Wenn ich dich darum bitte, dann schiebe ich nicht den anderen, sein Eigengewicht, seinen Eigenwert auf die Seite, mache ihn nicht zum bloßen Anlaß, um nicht [70] mit ihm, sondern mit dir zu tun zu haben. Im Gegenteil: Wenn ich mit dir zu tun habe, dann allein habe ich wahrhaft mit meinem Nächsten zu tun. Denn du bist das Ja, das grenzenlose und unbedingte, zu ihm. Und wenn ich hinfinde zu dir in ihm, dann gewinnt deine Liebe in mir Gestalt, so daß meine Begegnung mit dem Nächsten mein lebenspendender „Tod“ für ihn zu sein vermag. Mach mich verletzlich durch dich und den Nächsten, dann bin ich der Bote deines Heils und bin ich selbst geheilt durch deinen Tod, der hier und jetzt mich durchdringt. Laß mich nicht vergessen, daß dein Evangelist vermutlich deine Gesandten, deine Apostel zumal im Blick hatte, als er uns dein Wort überlieferte: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Es ist gut, daß wir in langer und ehrwürdiger Tradition dieses Wort auf die Ärmsten, die Schwächsten, auf jedermann hin ausgelegt haben. Aber es ist auch gut, daß wir daran denken: Du selbst kommst zu uns in deinen Boten, du selbst kommst zu uns in der manchmal herben und rauen Stimme deiner Kirche. Laß mich hier nicht mich abschotten gegen dich in meinem Besserwissen, in meinem Urteil, in meinem Konkurrenzdenken, weil ich schließlich ja auch etwas von Kirche und Evangelium und von den wirklichen Verhältnissen heute verstehe. Laß mich auf dich hören, laß mich den letzten Bruder, Papst und Bischof, als deine Gegenwart, als dein Sakrament annehmen und lieben und nicht ruhen, bis ich in der Stimme deiner Braut deine, des Bräutigams Stimme ganz und lauter vernommen und angenommen habe. Jesus, du hast uns verheißen: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Laß mich dieses Wort so ernst nehmen, konkret, daß ich wahrhaft Bahnbrecher deiner Gegenwart inmitten meiner Mitbrüder, inmitten meiner Gemeinde, inmitten meines Hauses und meiner Familie, inmitten des [71] Kreises bin, in den du mich hineingestellt hast. Wo Menschen um deinetwillen, im Zusammenhang deines Namens, deiner Kirche sich versammeln, da ist Raum, in welchem du sein willst. Deine Verheißung ist sicher – aber erfüllen wir, erfülle ich die Bedingungen, daß sie sich einlösen kann? Die Kirchenväter, die nicht selten dieses dein Wort bedachten, wußten, daß es nicht selbstverständlich ist, dem Maß gerecht zu werden, das du uns nennst: „In meinem Namen“. In deinem Namen sind wir nur, wenn wir übereinstimmen in deiner Liebe, wenn wir die Einheit des Denkens in dir, wenn wir das lautere, von Vorurteilen und Urteilen freie Zueinander, kurzum, wenn wir miteinander deine ganze Wahrheit und deine ganze Liebe suchen. Bin ich nicht gerade dazu bestellt, daß ich immer und immer wieder der Anwalt deiner Gegenwart in unserer Mitte sei?

Der Jesus, in dem Gott alles neu macht: der Gekreuzigte

Jesus, du hast uns nicht nur ein neues Bild Gottes geschenkt, in dir ist Gott uns neu, in dir ist uns Gott als der, der er ist, aufgegangen. Und so ist alles neu, ist auch die Welt neu. Wo finde ich in dir den „neuen“ Gott und die „neue“ Welt? Wo wird mir mitten in dieser Welt das ungeheuerliche Geheimnis Gottes durch dich und in dir gegenwärtig? Du weist mich auf dein Kreuz, du weist mich auf deine Wunde, fuhrst mich in den Schrei deiner Gottverlassenheit und in den Schritt deiner Hingabe, die dich hineinführt in die Herrlichkeit des Vaters und als den Verherrlichten dich gegenwärtig sein läßt mitten unter uns: Du führst uns in dein Pascha-Geheimnis. Aber du holst das Kreuz, das auf der Spitze unserer Kirchen und Berge, in der Höhe über unseren Altären schwebt, zugleich herunter und hinein in den Alltag. Nichts kann mir begegnen, was nicht drinnen wäre in deiner [72] liebenden Todeshingabe, in deiner Tod in Leben verwandelnden Erlösungstat. Überall wo mir das begegnet, was nicht mit dir zu tun hat, was in Kontrast und Spannungzu dir steht in mir und um mich herum und in der großen Welt, überall, wo du also nicht bist, da bist du. Denn da ist dein Kreuz. Und wo dein Kreuz ist, da ist der Vater und der Geist. Da ist deine Liebe, die sich gibt bis zum Äußersten und Gott gibt bis ins Äußerste und Fremdeste hinein. Da bist du als der Sohn, der nicht wie ein Mietling davonläuft, sondern aushält und das Verlorene auf seine Schultern, in sein Herz lädt, um so, für uns „Sünde“ (2 Kor 5,21) und „Fluch“ (Gal 3,13) geworden, es von innen her auszuheilen und in den Schoß des Vaters zurückzutragen. Und überall, wo mir Trennung, Spaltung, Uneinheit, Bruch begegnen, da ist dein Kreuz und in deinem Kreuz die Möglichkeit, ja die Wirklichkeit der Einung, der Versöhnung. Wo ein unüberbrückbarer Zwischenraum aufklafft, da steht dein Kreuz, und so wird dieser Zwischenraum zum Raum, der deine österliche Gegenwart in unserer Mitte erwartet.

Jesus: Priester für den Priester und im Priester

Jesus, in den Blick auf dich bin ich als ich selbst und so als Priester eingegangen, aber die Punkte der Begegnung, die Weisen deiner Gegenwart, die Wege zu dir, sie sind für mich als Priester keine anderen als für die Schwestern und Brüder, die mit mir glauben. Und das ist gut so. Denn mit ihnen soll ich sein, was ich für sie bin, wie du mit uns wurdest, was du für uns sein wolltest und was wir durch dich werden sollen: Du wurdest für uns Bruder und Knecht, damit wir mit dir Sohn, Kind Gottes seien. Du hast mich als Priester ausgesondert, nicht damit ich über die anderen hinweg bei dir sei, sondern damit ich keine Entschuldigung davor habe, [73] unter den anderen, tiefer als alle anderen und „rettungslos“ bedrängt zwischen allen anderen bei dir zu sein, auf daß alle eins seien, alle sich kennten, liebten und fanden. Laß mich Eucharistie so feiern und sein, daß alle von dir leben. Laß mich dein Wort so leben, daß sie es wie in einem lebendigen Kommentar lesen kijnnen, wenn ich es ihnen verkünde. Laß mich mein Ich so in deinem Du bergen und verbergen, daß du selber für sie beglaubigt bist, wenn du in mir das Wort deiner sakramentalen und verkündenden Vollmacht sprichst. Laß mich selber so in ihnen lieben, daß sie dich in sich selbst entdecken und, zu dir findend, zu sich selber finden. Laß mich so der Diener der Einheit aller sein, daß du dort, wohin du mich gestellt hast, immer in der Mitte zugegen sein kannst. Laß mich dich jeden Tag an jedem Kreuz finden, an welchem du im Raum meines Lebens und Wirkens hängst, auf daß du erkannt bist, geliebt bist und so ein neues Ostern bereiten kannst.