Gerettetes Wort – rettendes Wort
Wort, das Zukunft eröffnet*
Der Prophet sagt die Zukunft an, sagt Gott als die Zukunft dem Volk und der Menschheit an. Vorwegnahme der Zukunft, Eröffnung der Zukunft, dies ist indessen in der Tat ein durchgängiger Grundzug menschlichen Sprechens. Auch „letzte Worte“ sind Worte, die anzeigen, wie es weitergeht, auch Erzählungen des Gewesenen sind Überlieferungen in die Zukunft und für die Zukunft, auch konstatierende Ergebnisse sind Zwischenergebnisse auf Anwendung und Weiterforschen hin, auch der spontane Ausdruck augenblicklichen Erfahrens bringt dieses in die Situation und damit ins menschliche und zwischenmenschliche Weitergehen ein.
Dieser prophetische, zukunftsbezogene Charakter menschlichen Sprechens überhaupt hebt die Bedeutsamkeit des Wortes ans Licht: Wenn die Worte nicht heil sind, sind sie unheilvoll; wenn sie „stimmen“, stimmt der Weg in die Zukunft, letztlich: stimmt die Zukunft selbst. Zusammenfassend läßt sich sagen: Menschliche Rede hat eine mehrfache Herkunft, die Herkunft im Sprechenden und in der Sache, die sich in ihm zur Sprache bringt, in der Hoheit der Wahrheit, die den Sprechenden in Anspruch nimmt; menschliche Rede hat vergegenwärtigende Kraft, indem sie den Sprechenden, aber auch den Angesprochenen vergegenwärtigt, aufdeckt und darin wiederum Wahrheit selbst ins Spiel und somit zur Gegenwart bringt; menschliche Rede sagt Zukunft an, spielt Zukunft ein, nimmt sie vorweg – sagt sie wahrhaft an, was kommt, so bereitet sie den guten Weg; führt sie in die Irre, so ist sie wiederum zukunftsmächtig, aber im Sinne des Verderbens. Die Dimension des Prophetischen ist also der Rede eingeboren. Wo menschliche Worte sich das Prophetische usurpieren, sind sie gefährlich. Wo sie ihre prophetische Verantwortung negieren, sind sie es wiederum; denn in ihrer Wirkung werden sie unwillkürlich und unvermeidlich als prophetisch genommen. Auch das Wort, das gar keine Wahrheit mehr sagen will und das sich von dem Wahrheitsanspruch der Rede distanziert, sagt eben und bewirkt eben, daß man es für wahr hält, daß Wahrheit gleichgültig ist oder abwesend oder nichts vermag. Das Wort, das nicht das eigene Herz und das des anderen und das „Herz“ der Wirklichkeit aufdecken will, macht die Wirklichkeit stumpf und macht dich und mich stumpf, stößt dich und mich und das Herz der Wirklichkeit ins Versteck – und nebenan „geistern“ ungeprüfte Worte, die dein und mein Herz manipulieren und uns mit Scheinwirklichkeit leben lassen. Eine Zukunft schließlich, die nicht mehr ins Wort findet, wird zum blinden Überfall, zum unverantworteten Es und nimmt uns doch nicht ab, für diese Zukunft verantwortlich zu sein.