Glauben – wie geht das?

Zugang: verschiedene Dimensionen von Geist

Eingangs hatten wir uns überlegt, ob wir bei der Botschaft von der Gottesherrschaft oder beim österlichen Bekenntnis zum erhöhten Herrn anfangen sollen. Eine dritte, näherliegende, aber zugleich verborgenere Möglichkeit hatten wir nicht ausdrücklich in die Erwägung einbezogen. Eine näherliegende – denn jene Unmittelbarkeit zum Vater, die uns durch Jesus, durch seine Ansage des Gottesreiches erschlossen ist, und jene Nähe zum österlichen Jesus, die ihn als den Herrn weiß, haben eine und dieselbe Voraussetzung. „Abba, Vater!“ rufen wir im Geist, den wir empfangen haben (vgl. Röm 8,15; Gal 4,6). Und „Herr ist Jesus!“ kann niemand rufen außer im Heiligen Geist (vgl. 1 Kor 12,3). Im Geist werden der Vater und der Sohn so Thema, daß sie an sich selber aufgehen. Im Geist gehen wir uns allererst so auf, wie wir vor Gott und durch ihn sind. Der Geist selbst aber wird nur schwerlich zum Thema. Man spricht nicht vom Licht, in dem man sieht, sondern von dem, was man im Lichte sieht.

So ist es ein wenig geblieben auch durch die Geschichte der Kirche und der Theologie hin. Allerdings, dies muß man hinzu sagen, steht doch mehr in den Schriften des Neuen Testamentes vom Heiligen Geist, als es zunächst vielleicht den Anschein hat. Und auch die große Theologie, zumal der Väter wie auch jene etwa des Bonaventura im Mittelalter sagt mehr vom Geist, als wir in unserem gängigen Bewußtsein präsent haben.

[135] Wie geht Glauben? Die erste, vielleicht treffendste und umfassendste Antwort auf diese Frage hieße jedenfalls: Glauben geht im Heiligen Geist. Hier wird gesagt, daß nicht wir es können, daß es nicht von unserer Kraft aus geht, daß es aber, wenn nicht aus unserem Vermögen, so doch durchaus mit uns, ja mit unserer Freiheit in unserem Eigensten, geht.

Zugänge zu „Geist“

Darin sind wir schon in einen Zugang vorgestoßen, der uns verstehen hilft, von welch eigentümlicher Art das ist, von dem wir reden, wenn wir vom Geist reden. Von Geist freilich in dem Sinn, wie die Schrift von Geist, Heiligem Geist spricht, nicht im Sinne von Intellekt oder Vernunft oder Gegensatz zur Materie. Wenn einen der Geist überkommt, wenn einer im Geiste spricht, wenn einer einen bestimmten Geist hat, dann wirkt in ihm etwas, das nicht nur er selbst ist. Und es wirkt gerade in dem, was am meisten „sein“ ist: in seinem Sprechen, Sehen, Wollen, seiner Spontaneität, seinem Verhalten zu den anderen, zur Welt, zu sich selbst. Es ist, als ob in die Quelle, die er selber ist, eine tiefere Quelle sich einspeiste. Es ist, als ob in dem Licht, das er ausstrahlte, ein anderes Licht durchstrahlte, ein Licht, das er nicht von einer äußerlich sichtbaren Lichtquelle her empfing und dann widerspiegelte, sondern das sein eigenes Lichtsein durchwirkt. Aus dir spricht und wirkt mehr als nur du! So wirkt auf uns jemand, der von einem Geist erfüllt – oder auch besessen ist.

Dies sind die beiden Möglichkeiten – oder sollten wir nicht besser gleich drei mit in Betracht ziehen? Es gibt die Erfahrung: Hier ist einer überfremdet, hier spricht er nicht mehr so, wie er eigentlich ist, hier ist etwas in ihn hineingefahren und hat ihn übermächtigt, was quersteht zu ihm selbst. Dieser Zwiespalt oder diese Besetztheit, in einem nicht schon theologischen durchgeklärten Sinne gesagt: „Besessenheit“ von einem anderen Geist wäre die eine, die negative, ja schreckliche, weil die Freiheit zerstörende oder zumindest entfremdende Spielart. Die andere ist jene der Begeisterung, des Enthusias- [136] mus, der Entflammtheit: Eine Idee, eine Gesinnung, ein Einsatz bricht aus einem Menschen hervor, größer als er selbst, das, was wir von ihm gewohnt sind, sprengend, ihn sozusagen über sich selbst hinaus hebend – aber eben ihn, so daß von einem anderen Niveau aus doch er selber es ist, der sich da äußert. Anders gewendet: Was diesen Menschen entflammt, erfüllt, begeistert, ist zwar mehr als nur seine Leistung, aber es ist Steigerung, Entbindung eigener Kräfte und nicht ihre Minderung oder Hemmung.

Und nun das dritte: In einem Menschen wirkt der Ursprung, der Anfang, der schlechterdings mächtiger ist als er, größer, aber auch früher als er. Jener Ursprung, von dem her er selber erst ist. Er, das Geschöpf, dieser endliche Mensch, sagt und tut Dinge, die nicht aus dem Vorrat seiner Endlichkeit möglich sind. Er wird Organ und Werkzeug göttlichen Wirkens. Wiederum ist er gerade nicht sich selbst entfremdet, ganz im Gegenteil. Er kann überdehnt, überfordert, bis zum äußersten beansprucht sein – aber er findet in dem, was ihn erfüllt und treibt und in Anspruch nimmt, eine neue, wenn auch nicht immer bequeme Identität. Geist ist hier die Kraft, durch die Gott seine Ursprünglichkeit in einen Menschen überspringen läßt, damit er Worte und Taten nicht nur im Auftrag Gottes vollbringt, sondern solche, in denen Gott selber spricht und wirkt in der Geschichte. Hierbei sind freilich verschiedene Ziele und ihnen entsprechend verschiedene Weisen von Geistmitteilung zu unterscheiden – „funktionale“, die einen Menschen von Gott her zu einem geschichtlichen Auftrag befähigen, „personale“, die ihn selber in seinem persönlichen Verhältnis zu Gott, in dem, was er selber ist, betreffen. Sehr oft sind beide miteinander verbunden – eine Entfaltung der Typen muß hier unterbleiben.

Dimensionen von Geist

Eine andere Unterscheidung hingegen ist in unserem Kontext wichtig. Geist bedeutet, so wie wir es bisher sahen, allgemein andere Ursprünglichkeit, die sich in menschlicher Ursprünglichkeit durchsetzt. Wenn wir auch soeben diese Redeweise von jener anderen ab- [137] gehoben haben, die Geist von etwas wie Stoff, Materie abgrenzt, so spielt doch eine verwandte Gegenüberstellung ins Neue Testament hinein: im Wortpaar Fleisch und Geist (vgl. z. B. Joh 3,6; 6,63ff.; Röm 6–8; 2 Kor 5,16; Gal 5,17). Die Stoßrichtung der Aussage ist hier nicht eine Zweiteilung der Welt, bei welcher das Materielle minderwertig, das Geistige hochwertig, Gott zugeordnet erscheint. Es geht eher wiederum um verschiedene Ursprungsbereiche, hier des Handelns und Verhaltens des Menschen. „Fleisch“ meint jenen Ursprungsbereich, in dem Interessen und Wünsche wie die nach Geltung, nach Genuß, nach Macht beheimatet sind, die also grundsätzlich vom Ich ausgehen und sich in ihm erschöpfen. „Geist“ meint hingegen den Ursprungsbereich Gottes, in dem sich zwar die Interessen und Sehnsüchte des Menschen erfüllen, aber nicht auf das Ich allein bezogen, sondern in jener Offenheit fürs Ganze, in jeher Offenheit zumal fürs Höchste, Gott. An Stelle der isolierenden Selbstbeziehung tritt die Beziehung zu Gott und die Beziehung Gottes zu allen in die Mitte.

Es ist nun kein bloß äußerer Umstand, daß Geist Gottes als Ursprungsmacht Gottes im Menschen und Geist als „andere Ordnung“ göttlichen Lebens und göttlicher Ursprünglichkeit sich im Neuen Testament durchdringen. Die Ursprünglichkeit Gottes ist eben anders, ist eben nicht nur Selbstbezogenheit, sondern sich mitteilende, sich verschenkende Freiheit. Im Geiste leben heißt in der anderen Lebensart Gottes leben. Das aber gelingt nur, wenn wir aus Gottes Ursprung leben. Beide Bedeutungen der Rede von Geist fallen hier zusammen.